Heute ergab sich spontan ein kurzes Gespräch über Kreationisten, vor allem in den USA. Ein Kollege meinte, bedenklich, ja gefährlich sei es vor allem, wenn "solche Leute" zunehmend politschen Einfluss auf das Bildungssystem nähmen. Weiter wären in Streitgesprächen zwischen qualifizierten Naturwissenschaftlern und Kreationisten, immer die Kreationisten am Ende die Verlierer gewesen.
(Ich frage mich, woran der Sieger zu erkennen war und wer entschieden hat, wer im Meinungsstreit obsiegte.)
Die Frage nach dem Sinn oder Unsinn des Kreationismus interessiert mich in diesem Thread überhaupt nicht, was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist die Gewissheit oder Versessenheit, mit der ein Standpunkt vertreten wird. Das Selbe bei Verfechtern der Evolutionstheorie.
Das Selbe auch heute in der öffentlichen Bibelstunde bzw. den Glaubensbelehrungen eines jungen Adventistenpastors. Diesmal wieder der Sabbath, wieder die gleichen Argumente mit vertretbaren Ansichten, aber gleichzeitig keiner zwingenden Beweiskraft. Ansichten halt, die aber ebenso wie die Ansicht des Kritikers des Kreationismus mit anscheinend nahezu unbeirrbarer Selbstgenügsamkeit vorgetragen werden. Auch der junge Pastor hat seine Lektionen gelernt.
Oft widerspreche ich den jemandem liebgewordenen Ansichten auch deswegen nicht, weil ich niemanden verletzen möchte. Eine ältere Adventistin erklärt grienend, dass sie sich auch deswegen für die Gottesdienste fein mache, weil sie es so gelernt habe, sich gar nicht anders vorstellen könne, weil sie Gott die Ehre geben wolle und dergleichen Allgemeinplätze mehr. Wie soll man ihr widersprechen ohne taktlos oder unhöflich zu werden; es ist eben ihr persönliches Empfinden (bzw. es sind die gesellschaftlichen und familiären Normen, die sie in ihr Über-Ich integriert hat) und sie ist offensichtlich zufrieden oder gar glücklich damit; trotzdem ist es kaum mehr als ein Spiel in ihrem Kopf, das heißt die Bedeutung bekommt ihre mehr oder weniger festliche Kleidung erst dadurch, dass sie ihr genau eine derartige Bedeutung beimißt, sie hat diese Bedeutung nicht an sich. ("...und Gott, der ins Verborgene sieht...") Ein älterer Pastor gibt am gleichen Abend eben solche Bekleidungskonventionen von sich. Wobei doch jedem klar sein muss, dass ein hauptamtilicher Adventistenpastor quasi aufgrund seiner sozialen Rolle sich am Samstag für seinen Auftritt in der Gemeinde in einen Anzug kleidet, und ganz sicher nicht nur, weil er Gott ehren will. Im Gegenteil besteht sogar die Gefahr, dass es ihm auch oder vor allem um die Demonstration und Festigung seiner sozialen Vorrangrolle, seiner beruflichen Position, seines Einkommens etc. geht. Wer sagt, dass solche Überlegungen garantiert keine Rolle spielen, ist meines Erachtens weltfremd oder ein Heuchler. Wie soll man mit solchen Leuten reden, ihnen kann man kaum widersprechen, ohne sie zu verletzen und ohne dass sie sich provoziert fühlen. Wenn man sie also nicht wirklich hasst und ihnen überhaupt nicht feindselig gegenübersteht, bleibt einem fast nichts anderes übrig als sich ihre Konventionsbelehrungen und ihre Glaubensdogmen geduldig anzuhören, das heißt sie schweigend zu tolerieren, also zu ertragen, dass sie nur bis zu ihrer Nasenspitze schauen wollen, was anscheinend eine Eigenheit geradezu jedes Menschen ist, ob Kreationismuskiritker, Evolutionstheoretiker, ob wochentagsgläubiger Adventist oder Papstfan.
Gibt es überhaupt Menschen, die imstande sind, über ihre eigene Nasenspitze hinauszuschauen, das heißt von ihren Vorurteilen oder ihrem vermeintlichen Wissen abzusehen, das trotz großer eigener Gewissheit immer auch Auslegungsergebnis ist? Gibt es überhaupt auch nur einen Menschen unter - sagen wir - je 3 Millionen, der sich einen gegenteiligen Standpunkt wirklich ernsthaft vorzustellen vermag. Ich fürchte oft: Nein. Und halte das für eine optimistische Einschätzung.
Daniels