Das sechste Gebot, das wir in 2. Mose 20,13 lesen, lautet “Du sollst nicht töten“.
Unter Töten versteht man eine aggressive Handlung, die den Tod eines
Lebewesens verursacht. Eine solche Handlung kann derart aggressiv sein,
dass der Tod des Angegriffenen sofort eintritt. Es gibt aber auch
strafbare Handlungen, durch die der Tod des Geschädigten erst allmählich
herbei geführt wird.
Die Justiz unseres Rechtsstaates stuft das Töten
in fünf Schweregrade ein: Der schwerste Fall ist ein Mord, bei dem es
sich um geplantes Töten handelt. Etwas milder stuft man den Totschlag
ein, weil er im Affekt oder nach einer Provokation in Erregung begangen
wird. Die nächste Kategorie ist das Töten durch fahrlässiges Verhalten.
In die vierte Kategorie des Tötens gehört das Verursachen eines
Todesfalles durch unterlassene Hilfeleistung. In die fünfte Kategorie
des Tötens gehört ein Konflikt, in dem der Angreifer durch eine
Notwehrreaktion des Angegriffenen das Leben verliert.
Auch das sechste Gebot Gottes bezieht sich auf
diese unterschiedlichen Kategorien des Tötens, geht jedoch in seiner
Bedeutung noch weiter, wie es biblische Beispiele zeigen.
Zwei Beispiele aus den Gleichnissen Jesu erhellen
die Bedeutung des Gebotes auf besondere Weise. Das eine Beispiel spricht
von einem Sohn der seinen ganzen Besitz, der in seinem Erbe bestand,
verprasste, bis er völlig verzweifelt über seine hoffnungslose Lage
keinen Sinn mehr in seinem Leben sah. Seine letzte Hoffnung war die
Rückkehr zu seinem Vater, den er mit seinem Verhalten tief enttäuscht
hatte. Hätte ihn der Vater nicht barmherzig empfangen und nicht
geholfen, hätte er seinen Tod verschuldet, da der Sohn keinen anderen
Ausweg aus seinem Dilemma sah. Es war die Barmherzigkeit des Vaters, die
den Verzweifelten vor dem Tod rettete.
Die Barmherzigkeit erfüllt demnach das sechste Gebot.
Ein anderes Gleichnis Jesu lesen wir im
Lukasevangelium Kap.10 mit dem Titel: „Der barmherzige Samariter“. In
dieser Geschichte lag ein von Räubern überfallener und schwer verletzter
Mann am Wegesrand. Zwei Männer gingen vorbei ohne dem Leidenden zu
helfen. Obwohl sie Geistliche waren, kannten sie das sechste Gebot nicht
in seiner tiefen Bedeutung und waren sich keiner Schuld bewusst. Jesus
klagte sie an, als er die Geschichte vom barmherzigen Samariter
erzählte, obwohl sie dem Verletzten nichts Böses getan hatten. Der
vorbeikommende Samariter dagegen kümmerte sich liebevoll um ihn. Dabei
ging er das Risiko ein, selbst überfallen zu werden. Er zahlte sogar
noch aus eigener Tasche für die Pflege des Misshandelten und bewahrte
ihn so vor dem sicheren Tod. Die Vorübergegangenen dagegen hätten mit
ihrem Verhalten den Tod des Hilflosen verschuldet. Durch die
Barmherzigkeit wird auch in diesem Fall das sechste Gebot erfüllt.
Wer das sechste Gebot erfüllt, handelt im Sinne Jesu und gemäß seines Charakters:
„Ein geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen, und einen glimmenden
Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Gericht hinausführe zum
Sieg.“ (Mat. 12,20)
Das sechste Gebot verlangt Barmherzigkeit!
Barmherzigkeit aber ist eine Charaktereigenschaft eines von Gott neu gestalteten Menschen. Gott verspricht: Und
ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer
Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch
wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Hes 36,26 (Elb) Ein
solchermaßen umgeformter Mensch wird das Gebot seinem hohen Anspruch
gemäß erfüllen können, während ein Mensch mit hasserfülltem Herzen nur
aus Angst vor der Justiz nicht töten würde. Durch diese niedere
Motivation aber ist er weit davon entfernt, das 6. Gebot zu erfüllen.
Auch wer helfen kann und hilft nicht, oder wer jemandem einen Schaden
oder auch nur eine Kränkung zufügt, übertritt das Gebot der
Barmherzigkeit und braucht eine Sinnesänderung.
In Matthäus 5,21.22, vertieft Jesus den Sinn dieses Gebotes.
Auch der Hass kann als Tötung gelten, wie es der Johannes ausdrückt: „Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Mörder; uns ihr wisset: in einem Mörder wohnt nicht das ewige Leben.“ (1.Joh.3,15)
Das 6. Gebot beinhaltet auch in besonderer Weise
die tiefe Bedeutung anderer Gebote des Sittendekalogs. Wer das fünfte
Gebot nicht achtet und seine Eltern durch Ungehorsam kränkt und ein
schändliches, anstößiges Leben führt, würde seine Eltern, je nach
Empfindsamkeit, so unglücklich machen, dass sie krank würden und dadurch
sogar früher sterben könnten. Auf diese Weise hätte der Missachter des
fünften Gebotes seine Eltern indirekt getötet.
Ähnlich verhält es sich mit dem siebten Gebot, das
die Ehe schützt. Wer fremd geht, bereitet seinem Ehepartner so große
Enttäuschung, die sich in Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit und sogar
Lebensmüdigkeit äußern kann. Der Ehebrecher würde in diesem Fall sich
eventuell am Tod seines Partners schuldig machen, indem dieser aus
lauter Kummer nur noch im Suizid den Ausweg aus seiner Situation sieht.
Die gleichen Folgen einer indirekten Tötung könnte
die Nichtbeachtung des achten oder des neunten Gebotes mit sich
bringen. Jemanden, dem das Eigentum entwendet wird oder dem man den
guten Ruf ruiniert, könnte auch in solch aussichtslose Lage geraten,
dass seine Verzweiflung sein Leben verkürzt.
Wir lesen über die Folgen des Verhaltens im Umgang miteinander: „Denn
das Gericht [wird] ohne Barmherzigkeit [sein] gegen den, der nicht
Barmherzigkeit geübt hat. Die Barmherzigkeit triumphiert über das
Gericht.“ Jak 2,13
Gott will nicht, das Menschen ins Gericht kommen und gibt deshalb gute Hinweise, wie Barmherzigkeit auszuüben ist: „So spricht der HERR der Heerscharen: Fällt zuverlässigen Rechtsspruch und erweist Güte und Barmherzigkeit einer dem anderen!“ (Sach 7,9) „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde.“
(Jak 4,17) Doch wer sein Leben im Glauben mit Jesus lebt, weiß Gutes zu
tun, wo der Geist Gottes ihn dazu treibt. Für solche Menschen lautet
das sechste Gebot: „Du wirst nicht töten!“
Wir dürfen uns über die Verheißung freuen:
„Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.“ (Mt 5,7)
.