Seinen Sohn auf Abwege bringen

  • Von einem Schauspiellehrer weiß ich, dass nicht selten Eltern, die schauspielerische Ambitionen hatten, die sie nie verwirklicht haben, ein Grund sind, warum deren Kinder sich schauspielerisch betätigen oder bemühen zu schauspielern. Vielleicht normal: Kinder übernehmen unbewußt Werte und Ideale ihrer Eltern.

    Ich mache mir heute wieder einmal Gedanken über den Sohn eines Freundes. Ca.28 Jahre alt hat er noch keinen Beruf erlernt u. noch nie eine Anstellung oder auch nur einen kurzen Job gehabt.

    Seine Eltern loben ihn von klein auf dafür, dass er phantasievoll u. eher künstlerisch begabt u. sensibel sei. Das ist nicht ohne Wirkung geblieben. Inzwischen wirkt er in einem Laientheater mit. In 4 oder 5 Stücken des Theaters hatte er eine Rolle. Jedes Stück wird genau zwei Mal vor Publikum aufgeführt. Vorgestern rief mich mein Freund, der Vater des jungen Mannes, an; anscheinend auch, um sich meiner Mithilfe bei einer häuslichen Renovierungs- oder Räumaktion zu versichern; aber auch, um mir von den letzten Aufführungen mit seinem Sohn am Freitag und Samstag letzter Woche, die der Vater beide besucht hat, zu berichten. Ich habe wieder erfahren, dass mein Freund seinen Sohn für schauspielerisch besonders begabt hält.

    Ich bin ratlos. Durch Lesen in einigen Wikipedia-Artikeln über deutsche Schauspieler weiß ich, dass viele erfolgreiche Schauspieler mit 28 schon lange eine Schauspielausbildung -- und sei es privat bei einem namhaften Schauspieler ihrer Zeit und Gegend -- angestrebt und absolviert hatten. Viele hatten schon Rollen in einigen Filmen und/oder kommerziellen Theateraufführungen. Keiner, an den ich mich erinnern kann, hatte mit 28 nur an die 10 -- oder von mir aus 20 -- Auftritte vor Publikum in einem Laientheater absolviert. Alle, von denen ich gelesen habe, scheinen ein größeres Engagement gezeigt zu haben als der Sohn meines Freundes.

    Nun berichtet mir mein Freund, der Vater des Talents, dass es eine Förderung für Laientheater gäbe, die es ermögliche, dass Laienschauspieler ein Stimmtraining absolvieren können. Sein Sohn sei nun dafür vorgesehen. Andere Leute gehen von sich aus und auf eigene Kosten mal zu solchen Trainings; sein Sohn aber, sage ich, braucht eine Förderung und den Vorschlag von anderen. Sarkasmus an: Das nenne ich leidenschaftliches Engagement für die Schauspielkunst.

    Fast krank machen mich gelegentlich absonderliche bis total weltfremde Einschätzungen meines Freundes. Vorgestern am Telefon erklärte er mir, dass es doch inzwischen schon eine ganze Menge Schauspieler gäbe, die auch wenn sie nicht immens erfolgreich und nicht durchgängig beschäftigt sind, doch als Schauspieler durchkämen. Natürlich müsse man als Schauspieler immer wieder mal damit leben, zum JobCenter gehen zu müssen; aber wichtig sei ihm vor allem, dass sein Sohn etwas tue, das ihm Spaß mache.

    Ganz haltlos sind diese Argumente nicht; trotzdem finde ich sie unrealistisch. Schon die Einschätzung, dass viele Schauspieler irgendwie einigermaßen durchkämen, scheint mir eine Beschönigung und Fehleinschätzung sondergleichen. Ich finde es fast abartig, dass mein Freund, wenn er diesen Standpunkt auch gegenüber seinem Sohn verträte, was zu vermuten ist, ihn nun auch noch dazu motiviert, sein Leben dauerhaft auf die Unterstützung durchs JobCenter zu gründen und dies für einen sinnvollen Weg zu halten.

    Manchmal, wenn ich mir Sorgen mache und wie jetzt ins Grübeln komme, frage ich mich, ob mein Freund seinen Sohn nicht zu einer gewissen Lebensuntauglichkeit erzieht, ihm geradezu sein Leben ersaut hat und weiter versaut. Der junge Mann wohnt bei ihm, hilft seinem von Geburt an behinderten Vater im Haushalt und der wiederum hält ihm im Zweifelsfall finanziell den Rücken frei.

    Ich bin mit dem Vater des jungen Mannes seit ca. 30 Jahren befreundet und habe den Jungen aufwachsen gesehen. Heute, ich weiß, das klingt grob und fühllos, habe ich mich einen Augenblick lang gefragt, ob es nicht das Beste und die einzige mögliche Lösung für den jungen Mann wäre, wenn sein Vater, mein Freund, bald möglichst stürbe; damit sein Sohn wirklich unabhängig sein eigenes Leben aufbauen muss.

    Ich höre von meinem Freund, der an sich sehr intelligent ist, manchmal Ansichten und Urteile über seinen Sohn oder dessen Verhalten, die mich sehr verstören, weil ich sie manchmal völlig abwegig und geradezu außerirdisch finde.

    Ein Beispiel: Wir kommen in einem Gespräch auf einen namhaften Schauspieler von internationalem Renommee, der das selbe Sternzeichen hat, wie der Sohn meines Freundes. Mein Freund, der seit je an Astologie glaubt, erklärt mir, er sehe durchaus eine gewisse Ähnlichkeit in Charakter oder Begabung zwischen diesem äußerst bekannten Schauspieler und seinem Sohn. Mir kommt das an den Haaren herbeigezogen und geradezu anmaßend vor, als würde ein Vater seinen kleinen Sohn, der gerade wütend einen Ameisenhaufen zertreten hat, deswegen ganz ernsthaft mit Dschingis Kahn vergleichen.

    Beispiel 2: Der junge Mann nahm an einer längeren Motivations- und Berufsfindungsmaßnahme teil. Eines Tages erklärt mir mein Freund auf meine Frage nach seinem Sohn, dieser sei nun einige Tage dieser Maßnahme ferngeblieben. Ich fragte, warum. Die Antwort: Er sei abgestürzt, hätte mit Freunden zu lange gefeiert usw. usf. Was immer man davon hält, ich mag den Vorgang selber gerade nicht kommentieren, was mich wirklich fertiggemacht hat war, wie mein Freund das dann noch bewertet hat. Er erklärte mir, er fände es auch irgendwie mutig, dass sein Sohn sich dem allen widersetze. Das Wort "mutig" hat mich geradezu erschrocken ob seiner Deplaziertheit. Mut ist doch ein aktives Zugehen auf gefährliche Umstände, etwas, bei dem jemand seine Angst überwindet und sich Gefahren oder wenigstens Risiken stellt. Wer nennt es denn Mut, wenn jemand einfach nur morgens nach durchzecheter Nacht nicht aufsteht?

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

    4 Mal editiert, zuletzt von Daniels (10. Juni 2015 um 05:19)

  • Fortsetzung wegen der forentypischen Beschränkung der Nachrichtenlänge.

    Ich möchte die Tatsache, dass der junge Mann keine Arbeit annimmt, jetzt gar nicht moralisch werten; was mich krank macht, sind solche abwegigen Bewertungen. Ich weiß, dass mein Freund nicht geisteskrank ist; aber manche seiner Einschätzungen und Kommentare finde ich inzwischen wirklich verrückt und ziemlich verstörend. Vielleicht sollte ich im Internet nicht über so etwas schreiben, aber es ist ja quasi anonym und vor allem verstört mich die Situation; ich versuche das irgendwie zu verarbeiten und komme damit bisher nicht zu einen zufriedenstellenden Ende.

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

  • Ja, da läuft wohl sehr viel falsch ab.
    Die einzige Lösung, die ich sehe, versuche mit deinem Freund und auch mit seinem Sohn darüber in aller Ruhe zu reden.
    Schade, das der Sohn schon so alt ist...echt schwierig, aber die Problematik gehört angesprochen. Bei solchen Gesprächen bete ich immer vorher intensiv für Weisung und den Schutz Gottes.
    Ich würde dem Sohn sagen, das er im Leben für sein Unterhalt selbst verantwortlich ist, nicht die Arge, nicht sein Vater....usw.
    Der Sohn ist zur Unselbständigkeit und zum Träumen erzogen worden.

    LG

    Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist es unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich
    (Matthäus 19, 26)

  • Hey :)

    Boah, Daniels... Ich weiß gar nicht, was ich zu Deinen Erlebnissen sagen soll, bin sprachlos.

    Ich würde dem Sohn sagen, das er im Leben für sein Unterhalt selbst verantwortlich ist, nicht die Arge, nicht sein Vater....usw.Der Sohn ist zur Unselbständigkeit und zum Träumen erzogen worden.

    Ich kenn' einige Leute, die eine gute und fundierte Ausbildung haben und trotzdem nicht arbeiten gehen wollen. Es gibt einige Leute in meinem Umfeld die mich z.B. auslachen, weil ich selbstständig bin. Sicher, ich hätt's mir auch einfach machen können. Bisserl auf die Drüse drücken und in Frühpension gehen... Ist keine Option für mich. Aus meinem Umfeld hör' ich oft Sätze wie: "Wieso gehst überhaupt noch schöpfen, dass AMS zahlt ja auch gut" :cursing: Ich hab z.B. einen Kumpel der gesund ist, eine gute Ausbildung als Kaufmann hat und seit Jahren nicht mehr arbeiten geht. Er bezieht Mindestsicherung und seine Einstellung ist: "Wieso soll ich mich 40 Stunden irgendwo reinstellen, wo ich 200,- € mehr bekomm', als beim "obe zahrn" ? "Obe zahrn" auf deutsch: "Runterziehen" - Ein österreichisches Modewort für "nicht's tun".

    GLG

  • Die Gründe, warum jemand länger arbeitstellenlos ist, sind vielfältig, und man kann nicht verallgemeinern. Meines Erachtens spielen zum Beispiel psychologische Schwierigkeiten und Krisen teilweise eine weit unterschätzte Rolle. Ordnungspolitsche, formale Methoden, nutzen da praktisch gar nichts, genauso wenig wie Moralisieren.

    Was den jungen Mann angeht, von dem ich -- ein wenig -- erzählt habe; fürchte ich, dass ihm ein geeignetes väterliches Vorbild fehlt und er falsche oder wenigstens einseitige Maßstäbe übernommen hat. Sein Vater, der von Geburt an schwer behindert ist, hat die meiste Zeit seines Leben keine Arbeit gehabt; so dass sein Sohn seinen Vater nie als jemanden erlebt hat, der sich mit Mühe und Engagement seinen Lebensunterhalt verdient; sondern als jemanden, der quasi durch seine bloße Existenz Unterhalt vom Staat bekommt, "Hilfe zu Pflege" heißt das in Deutschland, eine Sozialhilfe für Behinderte. Nur ist der Sohn in keiner Weise körperlich behindert.

    Ein gewisses Anspruchsdenken seines Vaters, der gelegentlich recht kämpferisch für sein Recht eintritt, ist auch ein etwas einseitiges Vorbild. Das geht in die Richtung von: "Ich muss mich durchsetzen, und die anderen sollen ihre Pflichten erfüllen." "Rechtsanwalt" war, wenn es um Probleme ging, oft eines der ersten Wörter, die ich von meinem Freund gehört habe. Diese Grundhaltung ist zwar nicht völlig unberechtigt; aber allein nicht ausgewogen.

    (Für manche Behinderte scheint mir solch ein kämpferisches, teilweise recht egoistisches Auftreten typisch, und ergibt sich, vermute ich, aus ihrer Lage: Wenn man körperlich nicht dominant wirkt und auch keine Möglichkeit hat, qua Position Einfluß zu nehmen, dann, so glaube ich, ist diese Form von betont kämpferischem forderndem Auftreten ein wirksames Mittel sich doch noch zu behaupten. Oft kommt mir dieses aggressive Verhalten unangemessen und voreilig vor; ich vertrete meine Interessen prinzipiell erst einmal konstruktiv und freundlich.)

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

    Einmal editiert, zuletzt von Daniels (10. Juni 2015 um 21:54)

  • Ich kenne da einige ähnliche Geschichten, aber wir sollten auch mal unsere Zivilisation und Pädagogik betrachten. Was die Erziehung anbelangt herrscht so viel Unsicherheit. Niemand scheint mehr zu wissen wie man mit Kindern umgeht.

    Nun unser Sohn ist noch nicht in diesem Alter aber mit 7 Jahren hat er uns schon mal, als wir beide Meine Frau wegen eines Obligatorischen Kurses und ich von der Arbeit erst kurz vor Mittag nach Hause kamen und er schon ausnahmsweise eine Stunde früher zu Hause war und die Nachbarin ihn in unsere Wohnung liess für uns gekocht. Als ich nach Hause Kam war das Essen schon fast fertig und ich weise noch mal darauf hin, er war damals gerade mal 7 Jahre alt. Auch sonst hilft er im Haushalt macht uns oft am Wochenende das frühstück. Als Familie helfen wir einander und Respektieren was die andern tun. So ist unser Sohn nicht im Hotel Mama, was er selber kann soll er auch selber tun. Nun dafür hat er auch Freiheiten die andere Kinder nicht haben. so müssen wir uns von einigen nachsagen lassen, dass wir unseren Sohn nicht erziehen, da er hin gehen kann wo er will und er Besucht alle Kinder seiner Klasse und verabredet sich mit ihnen zu Spielen. Aber auch da wissen wir immer wo er ist. Er geht nicht ohne uns zu Informieren.

    Wenn aber Eltern ihre Kinder so erziehen, dass ihnen alles getan wird. Sie nichts Helfen müssen. Wie sollen sie dann im Alter plötzlich Verantwortung übernehmen?

    Nun das mit den Kochen das haben wir seither zu verhindern gesucht. ist doch etwas zu gefährlich da er ja die Gefahren noch nicht sieht und wenn etwas passiert. Aber eben Gegenseitige Hilfsbereitschaft und Motivieren zum Helfen sind wichtig. Unser Sohn macht das mit Freude. Und wir freuen uns natürlich. Da wir wissen, dass er überall als Anständig und Hilfsbereit wahrgenommen wird und so auch überall willkommen ist.

    Aber was macht man mit einem 28 Jährigen?

    Wenn du dir schlaflose Nächte bereitest, wird das niemandem helfen. Der Rat der Bibel ist, wer nicht Arbeitet soll auch nicht essen.

    Aber du bist nicht der Vater dieses Sohnes. Aber warte. Dieser Vater wird auch nicht Jünger und der Sohn auch nicht. Früher oder später werden sie die Früchte ihres Verhaltens Ernten. Möglicherweise wird das der Moment sein wo sie deine Hilfe annehmen werden. Ich hab das sehr oft schon erlebt. Jahrelang wurde ich geschnitten ausgegrenzt. Aber als dann nichts mehr ging, dann kamen sie zu mir und baten mich um Hilfe.

    Wenn du selber Kinder hast oder sonst gut mit Menschen im Alter seines Sohnes umgehen kannst, dann werden sie es merken und zu dir kommen.

    Also hab Geduld und warte.

    Aktuell kannst du dir nur Ärger einhandeln

  • Zitat

    wer nicht Arbeitet soll auch nicht essen.

    Falsch! Wer nicht arbeiten WILL, soll auch nicht essen.

    Zitat

    Früher oder später werden sie die Früchte ihres Verhaltens Ernten.
    Möglicherweise wird das der Moment sein wo sie deine Hilfe annehmen
    werden.

    Weißt du, du Durchblicker: wenn Leute ihre Sorgen mitteilen, dann in der Regel, weil sie vielleicht einen Rat, ein gutes Wort, oder einfach nur Gehör bekommen, und es mal äußern können.
    Und wenn man sich Sorgen um andere Menschen macht, dann ist es nicht sehr hilfreich, zu sagen: "Sie werden schon ernten, was sie gesät haben!"

    Das hat damit zutun, dass manche Menschen etwas haben, dass nennt sich Mitgefühl. Und dass sie sich nicht an dem Gedanken aufgeilen, anderen den Untergang zu prophezeien, sondern dass sie gerne helfen würden (auch wenn es manchmal nicht möglich ist).

    Zitat

    Ich hab das sehr oft schon erlebt. Jahrelang wurde ich geschnitten ausgegrenzt.

    Was du nicht sagst... :huh: Wie kam das denn?

    Zitat

    Aber als dann nichts mehr ging, dann kamen sie zu mir und baten mich um Hilfe.

    Ja, da muss wirklich gar nichts mehr gegangen sein, das stimmt.