William Goyen: "Mein Buch von Jesus"

  • "Mein Buch von Jesus" (Originaltitel: "A Book of Jesus") heißt ein 1973 in deutscher Übersetzung erschienes Buch, in dem William Goyen den Versuch unternommen hat, vom Wirken Jesu zu erzählen.

    William Goyen war ein Schriftsteller aus den Vereinigten Staaten von Amerika, der 1915 geboren wurde und 1983 an Leukämie verstarb. Obwohl er anscheinend nicht sehr populär geworden ist, gilt er als bedeutender amerikanischer Romanautor. Es heißt er sei ein "writer's writer", ein Autor, den Autoren schätzen. Goyen hat Englische Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaften studiert, war zeitweise Literaturdozent an der Universität oder als Englischlehrer an einer Schule tätig. Dem englischen Wikipedia-Artikel über ihn zufolge, hatte er 1971 ein Bekehrungserlebnis, über das er sich in Englisch wie folgt geäußert hat:

    Zitat

    What I found, or what found "me", was a very physical, touchable and touching Jesus. He was a man that touched and poked, patted and held and embraced. I had forgotten that he had stuck his finger in the ears of deaf people to make them hear; that he had spat in his hand and mixed clay with it to put on the eyes of blind people. A very touchable person seized me—the feeling was like love or lust: and it worked so swiftly that I was “turned”, changed "at once".

    Gut, versuche ich mich wieder mal an einer Übersetzung:
    Was ich fand, oder was mich fand, war ein sehr konkreter, körperlicher Jesus, den man anfassen kann und der einen anfaßt. Er war ein Mann, der anfaßte und stupste, antastete und festhielt und umarmte. ich hatte vergessen, dass er seinen Finger in die Ohren tauber Leute steckte, um sie hörend zu machen; dass er in seine Hände spuckte und Lehm damit mischte, um ihn auf die Augen blinder Leute zu tun. Eine sehr berührbare, greifbare Person ergriff mich -- das Gefühl war wie Liebe oder Lust: und es wirkte so geschwind, dass ich verwandelt [wörtlich: "gewendet"] war, verändert "im Handumdrehen" [wörtlich: "auf einmal"].

    [quelle]William Goyen laut Clark Davis hier zitiert aus Wikipedia[/quelle]
    Unter dem Eindruck seiner Bekehrung hat Goyen ein Buch über Jesus verfaßt, zu dem er in einem sehr kurzen Vorwort selber erklärt hat, er habe die vier Evangelien als Quellen benutzt und die Ereignisse zeitlich vor allem nach dem Vorbild des Markus-Evangeliums geordnet. Und weiter: "Es lag nicht in meiner Absicht, Jesu Leben zu erklären oder zu analysieren. Der Stoff spricht für sich. Ich habe einfach versucht, die Geschichte dieses Mannes und seiner Umwelt, seiner Zeit und seiner Mitmeinschen neu zu erzählen."

    Das Buch liest sich nicht wie ein Roman oder eine Novelle, sondern steht stilistisch zwischen Sachbuchstil und dem Stil Schöner Literatur. Gelegentlich, an einigen wenigen Stellen, wirkt die Ausdrucksweise leicht befremdlich; ich vermute, dass dies an einer stellenweise ungeschickten Übersetzung liegt.

    Die Darstellung ermöglicht einen guten Zugang zu Jesu Wirken, Goyen verbindet die Episoden aus Jesu Wirkensjahren meist flüssiger als es in den Evangelien geschehen ist. Zwangsläufig muss sein eigenes Verständnis, also eine subjektive Deutung dabei ins Spiel kommen. So kann man das Buch als die Geschichte Jesu auffassen, wie sie William Goyen verstanden hatte und zusammenfassen konnte. Die Darstellung ist nicht distanziert, aber auch nicht schwärmerisch, Goyen hält in dieser Hinsicht also eine gute Balance.

    Ich bin der Meinung, dass Goyens Darstellung, wiewohl sie auch für Menschen geschrieben wurde, "die nicht damit [mit dem Leben Jesu] vertraut sind oder es nur ungenau kennen", einige erfrischende Blickwinkel einnimmt und auch für einigermaßen bibelkundigen Leser, trotz einiger kleinerer Ungenauigkeiten und gewisser Freiheiten in der Darstellung, ernstzunehmende Anregung bieten kann, über Jesus nachzudenken. Mir gefällt, dass Jesus nicht als abgehobener immer ausgeglichener Weichling geschildert wird, sondern mit Ecken und Kanten, auch als gelegentlich wütender oder gelegentlich ungeduldiger Mensch, der bewußt, entschieden und nicht selten heftig in Widerspruch zu den bestehenden Verhältnissen seiner Zeit getreten ist.

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

    Einmal editiert, zuletzt von Daniels (7. Juli 2014 um 20:02)