Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.
Das größte Gebot – seine Bedeutung
Die Tatsache, dass hier vom „größten Gebot” die Rede ist führt häufig zu der Auslegung: „Die Erfüllung der Gebote ist die Liebe“ mit der ausgesprochenen oder unausgesprochen Implikation, dass sozusagen durch dieses Gebot der Liebe die Gebote des Alten Testaments abgelöst und / oder aufgehoben seien.
So auf die Schnelle scheint das ganz plausibel, aber ich möchte das etwas genauer ansehen und auch hinterfragen. Mein Eindruck ist, dass diese These ein wenig schlampig ist – vielleicht wieder einmal so ein schwammiger Umgang mit Begriffen…
Denn was sagt Jesus, wenn wir genau lesen?
„An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Mt 22,40)
"hängt" - zum Grundtextwort kann man lesen:
Zitat von Neuer sprachlicher Schlüssel zum griech. NTintransitiv hängen (dient als [perfektisches] Med./Pass. zu transitiv hängen, aufhängen); in/an (vgl. B n I5c) diesen beiden Geboten hängt/hängen das ganze Gesetz und die Propheten (wie eine Tür in den Angeln, so hängt das ganze AT in diesen beiden Geboten; B2b)
Das unterstellt in keiner Weise, dass das „Gebot der Liebe“ im Neuen Testament, die Gebote des Alten Testaments ablösen oder ersetzen würde.
Dafür gibt es einige Hinweise:
- der reine Textbefund der, diese Aussage einfach nicht macht. Er spricht von „hängen“, wie eine Türe an zwei Angeln hängt.
- Das „Gebot der Liebe“ ist keine „neutestamentliche Erfindung“. Es ist nicht „neu“ und von Jesus erstmals offenbart, sodass es das „alte“ ablösen könnte. Im Gegenteil, wenn wir das Lukasevangelium heranziehen, dann sehen wir, dass ein Gesetzeslehrer der Jesus fragt, was er tun müsse um ewiges Leben zu haben, selbst die Antwort findet. Als ihn Jesus fragt, was steht im Gesetz geschrieben, antwortet er mit dem Zitieren von 5Mo 6,5 und 3Mo 19,18:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst.
Scheinbar war diese Zusammenstellung also schon bekannt und durchaus geläufig. - Es sollte auch nicht übersehen werden in welchem Kontext 5Mo 6,5 steht: unmittelbar nach den 10 Geboten und im sogenannten Deuteronomium, das griechisch „zweites Gesetz“ heißt. Diese Bezeichnung entstammt der Septuaginta in der latinisierten Fassung der Vulgata. In der rabbinischen Literatur wird das Buch auch מִשְׁנֵה תוֹרָה Mischne Tora („Wiederholung des Gesetzes“) genannt.
Und gerade im Umfeld des vorstehenden Textes häufen sich Aussagen wie:
5Mo 6,2 "damit du den HERRN, deinen Gott, fürchtest alle Tage deines Lebens, um alle seine Ordnungen und seine Gebote zu bewahren"
5Mo 6,13-14 "Den HERRN, deinen Gott, sollst du fürchten und ihm dienen, und bei seinem Namen sollst du schwören. Ihr sollt nicht anderen Göttern, von den Göttern der Völker, die rings um euch her sind, nachlaufen"
5Mo 6,17 "Halten, ja, halten sollt ihr die Gebote des HERRN, eures Gottes, und seine Zeugnisse und seine Ordnungen, die er dir geboten hat" - Josua greift das Wort des Mose auf, wen er sagt:
Nur achtet genau darauf, das Gebot und das Gesetz zu tun, das Mose, der Knecht des HERRN, euch befohlen hat; den HERRN, euren Gott, zu lieben und auf allen seinen Wegen zu wandeln und seine Gebote zu halten und ihm anzuhängen und ihm zu dienen mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele! (Jos 22,5) - Johannes stellt den Zusammenhang zwischen dem „Gebot der Liebe“ und dem Gesetz wie folgt dar:
"Denn dies ist die Liebe Gottes: dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer." (1 Joh 5,3)
Wenn wir die Aussage des Johannes reflektieren, dann ist sie geradezu eine Auslegung des „Gebots der Liebe“ nämlich nach dem Willen Gottes zu leben.
Wie ja auch Jesus sagt: "Wenn ihr mich liebt, so werdet ihr meine Gebote halten" (Joh 14,15)
Eine Fülle von biblischen Belegen – ich könnte noch einige Stellen aufzählen – macht klar: Das „Gebot der Liebe“ ersetzt nicht die von Gott vorher geoffenbarten Gebote, sondern zeigt, dass die Akzeptanz Seiner Gebote bestimmend für unsere Gottesbeziehung ist. Deshalb ist es das „höchste Gebot“ weil es den Respekt vor allen Geboten Gottes beinhaltet.
Zusammenfassung:
Eine "Ablösung" der Gebote des AT durch "das Gebot der Liebe" lässt sich meines Erachtens nicht biblisch begründen.
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