Ja, das ist das Problem, das wir heute in der Exegese haben.Entweder wir setzen engere Grenzen, als sie im NT beim Zitieren des AT verwendet wurden, oder wir erlauben alle möglichen Phantasieauslegungen ...
Das sehe ich keineswegs so problematisch, denn die saubere formale Analyse und die darauf aufbauende Auslegung ist immer nur der erste Schritt für eine sorgfältige Bibelinterpretation.
Außerdem ist es ein großer Unterschied ob ich versuche das zu rekonstruieren was der biblische Author ursprünglich mit seiner Niederschrift für seine Zeit sagen wollte oder ob ich diese Aussage dann in einem viel größeren Kontext erneut beleuchte.
Ich reite hier aber bewußt immer wieder auf dieser sauberen formalen Analyse herum weil sie bei den von mir Angesprochenen i.d.R. völlig zu fehlen scheint und damit die gesamte Auslegung jeder sachlichen Basis entbehrt. Fatalerweise ist den Angesprochenen dieser systematische Fehler meist nicht bewußt wird aber mit Verweis auf "geistlich höhere Grundsätze" (z.B. "Die Schrift legt sich selbst aus!") hartnäckig ignoriert!
Wenn wir aber die Aussage eine Textes an sich klar erarbeitet haben können wir anschließend einen vergleichenden Zusammenhang zu ähnlichen oder anderen Aussagen der Schrift herstellen, benachbarte Themen aufgreifen und Zusammenhänge einbeziehen um ein vollständiges Bild zu erhalten.
Wenn wir diesen übergreifenden Vergleich aber zu früh einleiten laufen wir Gefahr HINEIN zu interpretieren anstatt heraus zu lesen - im Fachjargon: EIS-egese anstatt EX-egese (Hinein-Lesen anstatt Heraus-lesen) zu betreiben.
So wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht so macht eine formal saubere Exegese noch lange keine gesunde Lehre oder den gesunden Glauben - aber sie ist trotzdem unabdingbare Voraussetzung und Begleiterscheinung! Gesunde Lehre und gesunder Glaube sind viel mehr als das Ergebnis formal sauberer Exegese(n) aber ohne saubere Exegese gibt es keine gesunde biblische Lehre und auch keinen gesunden Glauben!
Freilich haben sich einige Schreiber aus dem NT bestimmte Freiheiten genomen aber sie sind von Gott besonders ausgewählte und inspirierte Schreiber gewesen - und wir sind das nicht!
Uns stehen diese Freiheiten also nicht ohne Weiteres zu sondern unsere Bibelauslegung unterliegt festgelegten Regeln wenn wir ernsthaft verstehen wollen was Gott uns zu sagen hat.
Wie gesagt, die saubere Einzeltext-Exegese ist bei der Bibelauslegung nur der erste von mehreren Schritten ohne den zuverlässige / wahrheitsgemäße Ergebnisse aber unmöglich sind!
Solange das nicht auch unmißverständlich und unbestritten in der Basis (der Gemeinde) grundsätzlich klar ist wird es immer sinnlose Grabenkämpfe geben, die nie zu einem geistlichen Ergebnis führen sondern nur böses Blut verursachen und Zwietracht sähen.