Umgang mit moralischen Zwickmühlen

  • Letzthin hörte ich über HOPE-TV einen Vortrag von Ben Carson, dem prominenten adventistischen Chirurg aus den USA. Er sprach dabei auch moralische Zwickmuhlen an.

    Er fragte, wer im Publikum sich vorstellen könne, Lebensmittel aus einem Laden zu stehlen, zu dem er Zugang habe. Das Publikum war nicht zu sehen; aber ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Leute die Frage nicht verstanden hat. Carson hat dann für die saturierten papiermoralischen Leute die Frage zugespitzt, was sie täten, wenn ein Familienmitglied vermutlich sonst Hungers sterben würde und wenn sicher wäre, dass der Verlust dem Eigentümer nicht einmal auffallen würde.

    Moralische Probleme lassen sich offensichtlich nicht durch einfaches Zitieren aus den Zehn Geboten lösen! "Du sollst nie töten!" oder "Du sollst nie stehlen!" - Ich weiß, dass ich die Worte der Gebote hiermit variiert habe. - sind offenbar keine immer problemlos umsetzbaren Maximen, offenbar gibt es gar Situationen, in denen solche Aussagen überhaupt nicht klar zu befolgen sind. Eben dann, wenn ein Nicht-Töten oder Nicht-Stehlen ein Töten oder Sterben oder Stehlen nachsichzöge oder andere schlimme Folgen hätte.

    Oder was mich in seit einiger Zeit, eigentlich schon Jahre, beschäftigt: Wie gehe ich damit um, wenn ich beobachte oder deutliche Indizien dafür wahrnehme, das jemand stiehlt oder Dinge tut, die weithin als verwerflich bis kriminell gelten? Was tue ich, wenn ich durch Zufälle Hinweise darauf bekomme, dass jemand sich privat möglicherweise zu problematischen Verhaltensweisen hingezogen zu fühlen scheint?

    Ich kann nicht einfach allen Leuten empfehlen, sich dem "lieben Herrn Jesus" anzuschließen; entweder, weil es Personen sind, die dem Christentum deutlich ablehnend oder gar verächtlich gegenüber stehen, oder aber, weil die Personen, an die ich denke, schon aktive Christen sind.

    Ich bringe es auch nicht über mich, andere Leute auf ihren Abwegen schlicht zu belehren: "Iss nicht die Kirschen aus Nachbars Garten"!, wenn ich weiß, dass es sonst überhaupt kein Obst bzw. gar nichts zu essen geben würde. (Der Kirschendiebstahl ist hier nur ein abstraktes Beispiel für viele andere Abwege und auch für ganz konkrete, die ich hier nicht benennen kann.)

    Außerdem spricht Jesus ja vom Balken im eigenen Auge, auf den man sich konzentrieren solle.

    Ich wurde in den letzten Jahren sehr oft mit solchen Problemen konfrontiert. Manchmal war ich so weit, dass ich, wenn ich bestimmte Leute traf, mit denen ich zusammenarbeitete, davor auf der Straße stehend, still gebetet habe: "Erlöse mich von dem Bösen und bewahre mich vor dem Versucher." Als ich diesem Kollegen gegenüber einmal beiläufig die Religion oder Gott erwähnte, fluchte er sofort heftig, das Wort geradezu ausspeiend: "Scheiße!" Obwohl es abergläubige Geschichten sind, mußte ich an Filmszenen denken, in denen einem Vampir ein Kreuz vorgehalten wurde. Diesen Kollegen treffe ich inzwischen nicht mehr, das heißt er ist kein Kollege mehr.

    In letzter Zeit sind zwei weitere solche moralischen Zwickmühlen deutlicher geworden bzw. aufgetaucht, ich habe das Gefühl, dass ich mehr und Genaueres über andere Personen erfahren habe, als ich wissen mochte. Ich weiß nicht einmal, ob es mir zusteht, bestimmte Dinge zu wissen, und nicht, ob es mir schließlich zusteht, darüber zu urteilen, und welche Konsequenzen ich daraus ziehen könnte oder sollte. Über mache konkreten Dinge kann ich praktisch mit niemandem reden, weil ich nicht weiß, ob ich die Konsequenzen vertreten kann.

    Die Zehn Gebote bringen mir nichts in diesen Fragen. Vielleicht sollte ich alles vergessen... können.

    Grüße
    Daniels

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

    3 Mal editiert, zuletzt von Daniels (3. Juni 2012 um 21:17)

  • Ich frage mich oft, was gebietet mir die Liebe zu tun? Das wichtigste Gebot ist die Gottesliebe und das zweite ist die Nächstenliebe:
    Mk 12,31 Und das zweite ist vergleichbar, nämlich dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!« Größer als diese ist kein anderes Gebot.

    Ich denke mit dieser Prämisse lassen sich schon einige Zwickmühlen lösen.

    Kezia

  • Er fragte, wer im Publikum sich vorstellen könne, Lebensmittel aus einem Laden zu stehlen, zu dem er Zugang habe. Das Publikum war nicht zu sehen; aber ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Leute die Frage nicht verstanden hat. Carson hat dann für die saturierten papiermoralischen Leute die Frage zugespitzt, was sie täten, wenn ein Familienmitglied vermutlich sonst Hungers sterben würde und wenn sicher wäre, dass der Verlust dem Eigentümer nicht einmal auffallen würde.

    Ich habe gestern im Bett nochmal darüber nachgedacht, es gibt immer einen Weg. Ich würde dem Eigentümer anbieten, für ihn zu arbeiten. Entweder im Laden, Regale säubern, einräumen oder privat dort putzen für die Lebensmittel.