Ich hatte Johannes 1, 1 bereits zwei Artikel gewidmet, in denen es um die Übersetzung dieser Textpassage, sowie um die Kritik an der NWT / NWÜ ging:
Johannes 1, 1 und grammatische Regeln
Bruce Metzger und die New-World-Translation (Teil 1)
In diesem Artikel geht es um die Kritik des Gelehrten William Barclay...
WILLIAM BARCLAY UND DIE NEW-WORLD-TRANSLATION
Wenn es um die Kritik an der New-World-Translation / Neuen-Welt-Übersetzung der Zeugen Jehovas geht, zitieren Kritiker gerne angesehene Gelehrte, welche sich in irgendeiner Form negativ über diese Bibelübersetzung geäußert haben. Verbreitet werden solche Zitate in den meisten Fällen von evangelikalen Trinitariern, welche sich an bestimmten Wiedergaben der NWT / NWÜ stören. Dabei wurde wohl keine Übersetzungsart so häufig angeprangert, wie die von Johannes 1, 1. Zu einigen Kritikern der Wiedergabe "und das Wort war ein Gott" hatte ich bereits Artikel für diesen Blog geschrieben. Nun möchte ich dem Gelehrten Dr. William Barclay noch ein paar Zeilen widmen. Barclay (1907-1978) war ein schottischer Autor, Publizist, Geistlicher der Church of Scotland und Professor für Theologie und Bibelkritik an der University of Glasgow. Als Verfasser diverser wissenschaftlicher Werke zum Neuen Testament hatte er ohne jede Frage die nötige Kompetenz, um die Qualität einer Übersetzung beurteilen zu können. In der Zeitschrift "The Expository Times" vom November 1953 beurteilte er die NWT mit einer Ausdrucksweise, die bis heute Wasser auf den Mühlen der Kritiker ist. Wo auch immer jemand im Internet die Bibelübersetzung der Zeugen Jehovas verunglimpfen möchte, darf das folgende Zitat William Barclays nicht fehlen:
Zitat von William BarclayThe deliberate distortion of truth by this sect is seen in their New Testament translations. John 1:1 is translated: `...the Word was a god', a translation which is grammatically impossible. [...] It is abundantly clear that a sect which can translate the New Testament like that is intellectually dishonest.
Übersetzung:
Die absichtliche Verzerrung der Wahrheit durch diese Sekte ist in ihren Übersetzungen des Neuen Testaments zu sehen. Johannes 1:1 wird übersetzt: "... das Wort war ein Gott", eine Übersetzung, die grammatikalisch unmöglich ist. [...] Es ist völlig klar, dass eine Sekte, die das Neue Testament so übersetzen kann, intellektuell unredlich ist.
Zunächst mal fällt hier auf, dass Dr. Barclay - ähnlich wie sein Kollege Bruce Metzger - sehr harte Worte gebraucht, die zu einem unvoreingenommenen Gelehrten so gar nicht passen wollen. Da ist von "absichtlicher Verzerrung" und "intellektueller Unredlichkeit" die Rede. Auch wird das negativ belegte Wort "Sekte" gebraucht. Am stärksten sticht jedoch die Aussage heraus, dass die Übersetzung (und das Wort war ein Gott) "grammatikalisch unmöglich" sei. Da ich mich hier an anderer Stelle bereits ausführlich mit den möglichen Übersetzungsarten von Johannes 1, 1 befasst habe, möchte ich es in diesem Fall dabei belassen, Dr. Barclay auf seine eigene Aussage festzunageln, sowie diese mit einer späteren Aussage Barclays zu vergleichen. Barclay konnte nicht wissen, dass 1985 (also sieben Jahre nach seinem Tod) ein Buch erscheinen würde, in welchem eine beeindruckende Sammlung von Briefen abgedruckt werden würde, welche er an Personen geschrieben hatte, welche seine Meinung zu bestimmten Bibelpassagen erfragt hatten. Die folgenden Zitate stammen aus C. L. Rawlings' "William Barclay - Ever Yours" (1985), Seite 205. In einem an "Mr. David Burnett" gerichteten Brief vom 20. Mai 1974 schrieb William Barclay folgendes über Johannes 1,1:
Zitat von William BarclayYou note that in the Greek there is a definite article with logos, that is ‘Word’, but not with theos, that is ‘God’. Had there been a definite article with both, Word and God would have been identified. When the definite article is removed from a noun in Greek, as in English, the noun becomes the equivalent of an adjective. Take the following example in English. If I say ‘John is the man’, I identify John with some particular man; if I say ‘John is man’, omitting the definite article, I simply describe John as a man.
Übersetzung:
Wie Sie sehen, ist Logos - das heißt ‘Wort’ - im Griechischen mit dem bestimmten Artikel versehen, theos - das heißt ‘Gott’ - jedoch nicht. Wären beide mit einem bestimmten Artikel versehen gewesen, wären Wort und Gott identifiziert gewesen. Wird der bestimmte Artikel im Griechischen von einem Substantiv entfernt, wird das Substantiv - wie im Englischen - das Äquivalent von einem Eigenschaftswort. Nehmen Sie das folgende Beispiel aus dem Englischen. Wenn ich sage: "John ist der Mensch," identifiziere ich John mit einem speziellen Menschen; wenn ich den bestimmten Artikel weglasse und sage, 'John ist Mensch’, beschreibe ich John einfach als einen Menschen.
Interessant! Barclay erklärt hier völlig korrekt die Besonderheit des griechischen Textes und stellt einen Vergleich mit dem Englischen auf, wo das Fehlen des bestimmten Artikels ebenfalls den Unterschied zwischen "dem Menschen" und "einem Menschen" ausmachen kann. Bedeutet das, dass Barclay nun plötzlich doch mit der Wiedergabe der NWT einverstanden ist? Seine Erklärung legt das durchaus nahe, denn was er hier schreibt, passt zu keiner anderen Übersetzungsart von Johannes 1, 1 so dermaßen gut. Trotzdem fährt er wie folgt fort:
Zitat von William BarclayWhat that particular sentence of John says is that the Word was in the same class as God. God is an adjective rather than a noun, and the perfect translation is the New English Bible translation: What God was the Word was’.
Übersetzung:
Was dieser besondere Satz des Johannes sagt, ist, dass das Wort der gleichen Gattung wie Gott angehörte. Gott ist eher ein Eigenschaftswort als ein Substantiv, und die perfekte Übersetzung ist die Wiedergabe der New English Bible: Was Gott war, war das Wort’.
Barclay spricht sich hier gegen eine wörtliche Übersetzung, sowie für eine Interpretation des griechischen Textes aus. Warum man die Übersetzung "das Wort war ein Gott" nicht gebrauchen sollte, um auszudrücken, "dass das Wort der gleichen Gattung wie Gott angehörte", schreibt Barclay nicht. Stattdessen belässt er es bei einer sehr allgemein gehaltenen Aussage:
Zitat von William BarclayYou could translate, so far as the Greek goes; ‘the Word was a God’, but it seems obvious that this is so much against the whole of the rest of the New Testament that it is wrong.
Übersetzung:
Geht man nach dem Griechischen, könnte man übersetzen; ‘das Wort war ein Gott’, aber es scheint offensichtlich, dass dies so sehr gegen den gesamten Rest des Neuen Testaments spricht, dass es falsch ist.
Warum diese Übersetzung dem Rest des Neuen Testamentes widersprechen soll, wird hier nicht weiter erläutert. Dafür schreibt Barclay hier etwas, was er 21 Jahre vorher noch bestritten hat, nämlich dass man den griechischen Text durchaus so übersetzen kann, wie es in der NWT geschehen ist. Gleichzeitig nennt er nicht einen einzigen philologischen Grund, der gegen diese Wiedergabe spricht. Ich wage zu behaupten, dass Barclays Griechisch-Kenntnisse auch 1953 bereits gut genug waren, um ganz genau zu wissen, dass die in der NWT gebrauchte Übersetzungsart nicht nur möglich ist, sondern - gegenüber anderer Versionen - eindeutig die wörtlichere Übersetzung darstellt.. Warum behauptete er dann, diese Wiedergabe sei "grammatikalisch nicht möglich"? Da er auch den Ausdruck "intellektuell unredlich" gebrauchte, möchte ich folgende Frage hinzufügen: Ist es nicht auch "intellektuell unredlich", Behauptungen aufzustellen, von denen man ganz genau weiß, dass sie falsch sind, nur um eine Bibelübersetzung schlecht zu machen? Und sollte er es damals (erstaunlicher Weise) doch noch nicht gewusst haben, was hat ihn dann überhaupt dazu qualifiziert, eine Rezension zum Thema "Bibelübersetzung" zu verfassen? Warum hat er seinen "Sinneswandel" nicht öffentlich geäußert, um seine erste Aussage zu Johannes 1, 1 richtigzustellen? Tatsächlich hat Barclay stets schlecht von den Zeugen Jehovas geredet, wobei deutlich zu spüren war, wie emotional er dabei wurde. Bei der wissenschaftlichen Rezension einer philologischen Arbeit haben Emotionen aber nichts zu suchen. Da sollte man sich an nüchterne Tatsachen halten.
Kritiker der NWT / NWÜ lassen sich natürlich auch durch Barclays "Sinneswandel" nicht davon abhalten, seine erste Aussage zu Johannes 1, 1 wieder und wieder zu zitieren, um das trinitarische Verständnis dieser Textpassage zu unterstützen. Dabei ist es ihnen völlig egal, dass Barclay selbst für seine kritischen Aussagen zur Trinitätslehre bekannt war. Ein Beispiel:
William Barclay, A Spiritual Biography (1977), Seite 56
Nowhere does the New Testament identify Jesus as God. Jesus did not say, "He who has seen me has seen God." He said, "He who has seen me has seen the Father." There are attributes of God I do not see in Jesus. I do not see God's omnipotence in Jesus, for there are things which Jesus did not know. I do not see God's omnipotence in Jesus for there are things which Jesus could not do.
Übersetzung:
Nirgendwo identifiziert das Neue Testament Jesus als Gott. Jesus sagte nicht, „Wer mich gesehen hat, hat Gott gesehen.“ Er sagte, „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Es gibt Eigenschaften Gottes, die ich in Jesus nicht erkenne. Ich sehe nicht Gottes Allmacht in Jesus, weil es Dinge gibt, die Jesus nicht wusste. Ich sehe nicht Gottes Allmacht in Jesus, denn es gibt Dinge, die Jesus nicht tun konnte. (Zitat-Ende)
Auch die Tatsache, dass Barclay von der traditionellen Übersetzung von Johannes 1, 1 nicht viel hielt, bleibt von den NWT / NWÜ-Kritikern unbeachtet und ignoriert, obwohl sie sich doch für eben diese Wiedergabe stark machen.
Welches Problem Barclay nun genau mit den Zeugen Jehovas, oder mit ihrer Wiedergabe von Johannes 1, 1 hatte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Fakt ist, dass er später eingeräumt hat, dass diese Übersetzung durchaus eine mögliche Wiedergabe des griechischen Textes darstellt. Dass er selbst eine Interpretation (!) gegenüber einer wörtlichen Übersetzung bevorzugte, sollte dabei nicht unbeachtet bleiben.
Gane MacShowan
Kommentare 2