Bruce Metzger und die NWT (Teil 2)
In meinem letzten Blog-Beitrag bin ich erstmalig auf die Kritik des Gelehrten Bruce M. Metzger (1914-2007) an der "New-World-Tanslation" der Zeugen Jehovas eingegangen. Metzger war Professor für Neutestamentliche Sprache und Literatur, weshalb die Kritiker der ZJ ihn gerne zitieren, um aufzuzeigen, dass die New-World-Translation (sowie ihr deutsches Gegenstück, die Neue-Welt-Übersetzung) eine Verfälschung der Bibel darstellen. In diesem Artikel geht es ausschließlich um die Übersetzung (und das daraus resultierende Verständnis) von Bibelversen, welche für die Frage relevant sind, ob Jesus ein Geschöpf ist. Dieser Artikel soll nicht klären, ob die Dreieinigkeitslehre richtig oder falsch ist. Es geht hier auch nicht darum, ob Jesus zur Schöpfung gehört, oder ob die ZJ diesbezüglich falsch liegen. Es geht her einzig und allein um die Frage, ob Metzgers Kritik an den Wiedergaben der NWT berechtigt, objektiv und fair ist. Die nachfolgenden Zitate von Bruce Metzger sind dem Artikel „The Jehovah’s Witnesses and Jesus Christ“ entnommen, welcher im April 1953 in „Theology Today“ auf den Seiten 65-85 erschienen ist. Ich habe diese Zitate (sowie andere englische Zitate) frei übersetzt, damit jeder nachvollziehen kann, worum es geht.
Zitat von Bruce MetzgerIn Col. 1:15-17 the Jehovah’s Witnesses translation falsifies what Paul originally wrote, rendering it: “He is the image of the invisible God, the firstborn of all creation, because by means of him all other things were created in the heavens and upon the earth. … All other things have been created through him and for him. Also he is before all other things and by means of him all other things were made to exist.” Here the word “other” has been unwarrantably inserted four times. It is not present in the original Greek, and was obviously used by the translators in order to make the passage refer to Jesus as being on a par with other created things.
Übersetzung:
In Kol. 1: 15-17 verfälscht die Übersetzung der Zeugen Jehovas, was Paulus ursprünglich geschrieben hat: Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung; denn durch ihn sind alle anderen Dinge in den Himmeln und auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, erschaffen worden, es seien Throne oder Herrschaften oder Regierungen oder Gewalten. Alle anderen Dinge sind durch ihn und für ihn erschaffen worden. Auch ist er vor allen anderen Dingen, und durch ihn sind alle anderen Dinge gemacht worden, um zu bestehen.“ Hier wurde das Wort „andere" viermal unberechtigterweise eingefügt. Es ist im original Griechisch nicht vorhanden und wurde offensichtlich von den Übersetzern benutzt, um die Passage auf Jesus als gleichwertig mit anderen geschaffenen Dingen zu beziehen.
Es ist korrekt, dass das Wort "andere" im griechischen Text nicht enthalten ist. Deshalb haben die Übersetzer auch etwas getan, was Metzger hier gar nicht erwähnt: Sie haben das Wort "andere" in eckige Klammern gesetzt, so das für jeden Leser ersichtlich ist, dass es sich um einen erklärenden Zusatz handelt. Was genau soll denn in der NWT/NWÜ ausgedrückt werden, wenn hier von "allen [anderen] Dingen" die Rede ist? Bevor diese Frage geklärt wird, reicht vorerst die Feststellung, dass aus Sicht der Übersetzer anscheinend nicht "alle Dinge" im absoluten Sinne gemeint sind. Offensichtlich haben die ZJ hier eine, oder mehrere Ausnahmen im Sinn. Zunächst soll die Frage geklärt werden, ob das griechische πάντα zwangsweise "alles" im absoluten Sinne bedeutet. Diese Frage lässt sich sehr leicht anhand von 1. Korinther 15,27 klären:
1. Korinther 15,27 (Elberfelder 2006): "Denn alles hat er seinen Füßen unterworfen...
Hat Gott dem Christus tatsächlich alles im absoluten Sinne unterworfen, oder lässt diese Formulierung auch Ausnahmen zu? Der Vers geht noch weiter:
1. Korinther 15,27 (Elberfelder 2006): Wenn es aber heißt, dass alles unterworfen sei, so ist klar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat.
Gott hat dem Christus also alle anderen Dinge (außer sich selbst) unterworfen! Ist diese Bedeutung von πάντα im Neuen Testament eine Seltenheit? Keineswegs:
Matthäus 6, 33 (Die Heilige Schrift, Hermann Menge 1939): Nein, trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch all das andere obendrein gegeben werden.
Matthäus 26, 35 (Herder Bibel 2005): Petrus aber erwiderte ihm: Und wenn ich mit dir sterben müsste, ich werde dich niemals verleugnen. Ähnlich sprachen auch alle (anderen) Jünger.
Markus 4, 13 (Konkordantes Neues Testament 1939): Dann sagte Er zu ihnen: "Gewahrt ihr den Sinn dieses Gleichnisses nicht? Wie werdet ihr denn den Sinn aller anderen Gleichnisse erkennen?
Markus 4, 32 (Einheitsübersetzung 1980): Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.
Lukas 13, 2 (Schlachter 2000): Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder gewesen sind als alle anderen Galiläer, weil sie so etwas erlitten haben?
An all diesen Stellen steht das gleiche griechische Wort wie in Kolosser 1, 16. Auch hier könnte ein Kritiker darauf verweisen, dass das Wort "andere" im griechischen Text nicht vorkommt. Tatsächlich war es aber eine Besonderheit der griechischen Sprache, dass das Wort "andere" weggelassen wurde, wenn es sinngemäß ohnehin enthalten war:
Friedrich Blass, Albert Debrunner, Friedrich Rehkopf, "Grammatik des neutestamentlichen Griechisch" (18. Auflage 1975), Seite 410
Im engeren Sinn versteht man unter Ellipse den Fall, daß ein Begriff oder Gedanke in hergebrachter Weise sprachlich gekürzt ist. So kann ausgelassen werden, was nach der Satzstruktur selbstverständlich ist, wie die Kopula, das Subjekt, wenn es sehr allgemein ist, oder das Substantiv, wenn es durch das Attribut genügend angedeutet wird. Solche Ellipsen sind usuell und finden sich zT entsprechend auch in anderen Sprachen. 1. Speziell griechisch ist die Auslassung des Begriffs "andere", "überhaupt" (§ 306,5): 1Kor 10,31 εἴτε ἐσθίετε εἴτε πίνετε εἴτε τι (sc ἄλλο) ποιεῖτε. (Zitat-Ende)
Der zum Vergleich angeführte Text 1. Korinther 10, 31 liest sich in verschiedenen Übersetzungen wie folgt:
Einheitsübersetzung 1980: Ob ihr also esst oder trinkt oder etwas anderes tut: Tut alles zur Verherrlichung Gottes!
Schlachter 2000: Ob ihr nun esst oder trinkt oder sonst etwas tut — tut alles zur Ehre Gottes!
Pattloch Bibel 1979: Möget ihr nun essen oder trinken oder etwas anderes tun, tut alles zur Ehre Gottes!
Das Wort "andere" kommt hier im griechischen Text nicht vor, kann aber in die Übersetzung mit einfließen, weil es sinngemäß enthalten ist. Nun kann man sich fragen, ob der Sinn "alles andere" auch in Kolosser 1, 16 und den darauf folgenden Versen gegeben ist. Wir kommen jetzt zurück auf die Frage, welche Ausnahme(n) die Übersetzer der NWT/NWÜ mit dieser Wortwahl ausdrücken wollten. Tatsächlich glauben Zeugen Jehovas, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Dinge durch Jesus ins Dasein kamen. Die Frage nach diesen Ausnahmen lässt sich sehr leicht beantworten, indem man drei kurze Gedankenanstöße in den Raum wirft:
- Ist Jesus durch sich selbst ins Dasein gekommen?
- Ist "Gott der Vater" durch Jesus ins Dasein gekommen?
- Ist der heilige Geist durch Jesus ins Dasein gekommen?
Wie hätte der Kritiker Bruce Metzger wohl diese drei Fragen beantwortet? So wie jeder Trinitarier hätte er diese drei Fragen ohne zu zögern mit "Nein" beantworten. Jesus ist gemäß der Trinitätslehre gar nicht ins Dasein gekommen. Das Gleiche gilt für "Gott den Vater" und den "heiligen Geist". Tatsächlich würden Zeugen Jehovas diese drei Fragen genauso mit "Nein" beantworten, wenn auch aus einem anderen Verständnis heraus. Für sie ist "Gott der Vater" (JHWH) ohne Anfang, der heilige Geist die von Gott ausgehende Kraftwirkung und Jesus das erste Geschöpf Gottes. Das ändert aber nichts daran, dass die Übersetzer der NWT/NWÜ bei ihrer Wiedergabe von πάντα mit "alle anderen" genau die gleichen Ausnahmen im Sinn hatten, welche auch ein Trinitarier genannt hätte. Durch Jesus sind alle anderen Dinge (außer ihm selbst und seinem himmlischen Vater - inklusive seinem Geist) ins Dasein gekommen. Dieses Wiedergabe passt somit nicht nur zu dem Verständnis der ZJ, sondern auch zu dem der Trinitarier. Andererseits würde es sowohl dem Verständnis der ZJ, als auch dem Verständnis der Trinitarier widersprechen, hier von "allen Dingen" im absoluten Sinne auszugehen. Dementsprechend ist es völlig sinnlos und an den Haaren herbei gezogen, den ZJ hier eine "Falschübersetzung" zu unterstellen, mit welcher man angeblich Jesus zum Geschöpf gemacht habe. Der Vers 16 in der NWT/NWÜ sagt alleine rein gar nichts darüber aus, ob Jesus ein Geschöpf ist, oder nicht. Alles was man über diesen Vers sagen kann, ist, dass das was Paulus hier über Jesus schreibt, weder dem einen, noch dem anderen Verständnis widerspricht. Auch zu den darauf folgenden Versen kann man sich fragen, welche Ausnahmen gemeint sind:
Kolosser 1, 17 (Neue-Welt-Übersetzung 1986): Auch ist er vor allen [anderen] Dingen...
War Jesus vor sich selbst? War er vor dem Vater? Natürlich nicht, aber er war vor allen anderen Dingen! Das sehen auch andere Übersetzer so:
Hoffnung für Alle 2002: Denn Christus war vor allem anderen...
Neues Leben 2006: Er war da, noch bevor alles andere begann...
Neue Genfer Übersetzung 2009: Er war vor allem anderen da...
Das "andere" ist im Sinn enthalten und kann in die Übersetzung einfließen, ohne eine "Hinzufügung" darzustellen. Darauf verwies auch der Religionswissenschaftler Jason David BeDuhn, der über die Wiedergabe von Kolosser 1, 15-20 in der NWT folgendes schrieb:
Prof. Jason David BeDuhn, "Truth in Translation" (2003), Seite 85-86
So what exactly are objectors to "other" arguing for as the meaning of the phrase "all things"? That Christ created himself (v. 16)? That Christ is before God and that God was made to exist by means of Christ (v. 17)? That Christ, too, need to be reconciled to God (v. 20)? When we spell out what is denied by the use of "other" we can see clearly how absurd the objection is. "Other" is implied in "all," and the NW simply makes what is implicit explicit. [...] It is ironic that the translation of Colossians 1:15-20 that has recieved the most critism is the one where the "added words" are fully justified by what is implied in the Greek.
Übersetzung:
Also für welche Bedeutung des Ausdrucks "alle Dinge" argumentieren die Gegner des "anderen"? Dass Christus sich selbst erschaffen hat (Vers 16)? Dass Christus früher als Gott ist und dass Gott durch Christus geschaffen wurde (Vers 17)? Dass auch Christus mit Gott versöhnt werden muss (V. 20)? Wenn wir verdeutlichen, was durch die Verwendung von "anderen" verneint wird, können wir deutlich sehen, wie absurd die Beanstandung ist. Das "andere" ist in "alles" enthalten, und die New-World-Translation verdeutlicht einfach das, was impliziert ist. [...] Ironischer Weise ist die am häufigsten kritisierte Übersetzung von Kolosser 1,15-20 (auch) jene, in der die "hinzugefügten Wörter" durch das, was im Griechischen impliziert ist, vollständig gerechtfertigt sind. (Zitat-Ende)
Wenn die ZJ nun darauf verweisen, dass Jesus ein Geschöpf sei, dann berufen sie sich dabei nicht auf Kolosser 1,16-17, sondern auf den Vers 15, wo Jesus als "Erstgeborener aller Schöpfung" bezeichnet wird. Über diesen Vers schreibt Metzger folgendes:
Zitat von Bruce MetzgerFrequently Jehovah’s Witnesses make the assertion that this passage teaches that God created the Son. Actually the verb “to create” in reference to the relation of the Son of God to the Father appears neither here nor anywhere else in the New Testament. Here he is spoken of as “the first begotten of all creation,” which is something quite different from saying that he was made or created. If Paul had wished to express the latter idea, he had available a Greek word to do so, the word πρωτοκτιστος, meaning “first created.”
Übersetzung:
Häufig behaupten die Zeugen Jehovas, dieser Abschnitt würde lehren, dass Gott den Sohn erschuf. Tatsächlich erscheint das Verb "schaffen" in Bezug auf die Beziehung des Sohnes Gottes zum Vater weder hier noch anderswo im Neuen Testament. Hier wird er als "der Erstgeborene der ganzen Schöpfung" bezeichnet, was etwas ganz anderes ist, als zu sagen, dass er gemacht oder erschaffen wurde. Wenn Paulus die letztere Vorstellung hätte ausdrücken wollte, hätte dafür ein griechisches Wort zur Verfügung gestanden, nämlich das Wort πρωτοκτιστος, was "Erstgeschaffener" bedeutet.
Selbstverständlich kann man den Ausdruck "Erstgeborener" nicht als Synonym für "Erstgeschaffener" betrachten. Das haben die ZJ aber auch nie behauptet! Der "Erstgeborene" steht im biblischen Sprachgebrauch für den Ersten und Ranghöchsten unter mehreren Brüdern. Wenn die ZJ nun den Christus als Geschöpf bezeichnen, argumentieren sie dabei nicht mit dem Ausdruck "Erstgeborener", sondern mit der gesammten Wendung "Ertgeborener aller Schöpfung"! Der "Erstgeborener" einer bestimmten Gruppe ist im biblischen Sprachgebrauch auch immer ein Teil dieser Gruppe. Der Erstgeborene Ägyptens ist nicht einfach nur jemand, der über alle Ägypter gestellt ist, ohne selbst dazu zu gehören. Stattdessen ist er selbst auch ein Ägypter. Der Erstgeborene Israels ist selbst ein Israelit. Die Erstgeborenen des Viehs sind selbst Vieh. Es gibt diesbezüglich keine biblischen Gegenbeispiele und dementsprechend kann auch Metzger keine Gegenbeispiele nennen. Die ZJ verstehen unter dem "Erstgeborenen aller Schöpfung" schlicht und einfach den Ersten und Ranghöchsten aller Erschaffenen. Dabei haben sie den biblischen Sprachgebrauch auf ihrer Seite, während Trinitarier wie Bruce Metzger davon ausgehen müssen, dass sich hier die einzige Stelle in der Bibel findet, an welcher der "Erstgeborene" einer bestimmten Gruppe nicht auch Teil dieser Gruppe ist. Wenn Metzger nun darauf verweist, dass Paulus ja auch den Ausdruck πρωτοκτιστος (= Ersterschaffener) hätte verwenden können, dann ist das in zweifacher Hinsicht nur ein Scheinargument:
1. In Wörterbüchern zum Neuen Testament, wie denen von Walter Bauer, findet sich dieses Wort überhaupt nicht. Das Greek-English Lexicon von Liddel & Scott nennt als älteste (und einzige) Quelle für dieses Wort die Schriften des Clemens von Alexandrien (der ca. 200 nach Christus schrieb). Das Wort ist also einerseits sehr rar, andererseits gibt es keinen Beweis dafür, dass Paulus dieses Wort hätte verwenden können, da es keinen Hinweis darauf gibt, dass dieses Wort zu dessen Lebzeiten bereits in Gebrauch war.
2. Metzgers Argument kommt wie ein Boomerang zu ihm zurück, denn man kann es ganz einfach umdrehen: Hätte Paulus sagen wollen, dass Jesus der "Erstgeborene über aller Schöpfung", oder der "Erstgeborene vor aller Schöpfung" ist, dann hätte er das nachweislich ganz einfach durch den Gebrach von Wörtern wie πρὸ (siehe Kolosser 1,17: "...er ist vor allen Dingen") oder ἐπί (siehe Offenbarung 9,11: "Als König haben sie über sich den Engel des Abgrundes") tun können. Das hat er aber nicht getan, was zahlreiche Übersetzer nicht davon abhält trotzdem entsprechend zu übersetzen:
Luther 2017: "...der Erstgeborene vor aller Schöpfung"
Neue evangelistische Übersetzung 2018: "...der Erstgeborene, der über allem Geschaffenen steht"
Schlachter 2000: "...der Erstgeborene, der über aller Schöpfung ist"
Neue Genfer Übersetzung 2011: "...der Erstgeborene, der über der gesamten Schöpfung steht"
Interessanter Weise haben diejenigen, welche die NWT/NWÜ für das Einfügen des Wortes "andere" (in den Versen 16 und 17) kritisieren, nicht das geringste Problem damit, wenn andere Übersetzer im Vers 15 beliebig viele Wörter einfügen, welche im griechischen Text nicht enthalten sind. Und während die Übersetzer der NWT/NWÜ das Wort "andere" in eckige Klammern gesetzt haben, wodurch es als erklärender Zusatz kenntlich gemacht ist, dürfen andere Übersetzer ihre "Ergänzungen" in den Text einfließen lassen, ohne diese in irgendeiner Form kenntlich zu machen. Kritik gibt es dafür weder von Metzger, noch von anderen "Gelehrten" (abgesehen von dem bereits zitierten Jason David BeDuhn). Dabei sollte noch einmal erwähnt werden, dass das Wort "andere" dem Text von Kolosser 1,16-17 nichts hinzufügt, was nicht sinngemäß sowieso enthalten ist, während man durch das Einfügen von Worten wie "vor" oder "über" im Vers 15 eine ganz neue Bedeutung erzeugt. Aus dem Ersten und Ranghöchste einer bestimmten Gruppe wird jemand, der dieser Gruppe selbst nicht angehört. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur die ZJ Kolosser 1, 15 so verstehen, als sei Christus hier Teil der Schöpfung:
Stefan Alkier, "Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments" (2009), Seite 64-65
Der Christus ist der „ Erstgeborene der Schöpfung“ (1,15b). Ihn machte Gott zuerst und alles andere machte Gott von diesem ersten Schöpfungswerk aus. Nichts wurde ohne Bezug auf den Erstgeborenen der Schöpfung geschaffen und deshalb ist er das Zentrum der Schöpfung, ihr kosmologisches Zentrum, das Haupt alles leiblich Geschaffenen und auch des „Leibes der Kirche“ (1,18a). (Zitat-Ende)
(Anmerkung von mir:
Prof. Dr. Stefan Alkier studierte Evangelische Theologie, Germanistik und Philosophie in Münster, Bonn und Hamburg. Er arbeitet seit 2001 als Professor für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.)
Ernst Lohmeyer, „Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon“ (1961), Seite 56
Die zweite Wendung bestimmt den Gedanken des ebenbildlichen Seins näher: „Erstgeborener aller Schöpfung“. Daß das Gleichnis der Geburt hier auftaucht, als handele es sich um eine Unterscheidung zwischen geboren und geschaffen, ist unwesentlich. Denn dieser Eine ist als der Erste zugleich in dem Begriff aller Schöpfung mit umspannt; zwischen diesem und der übrigen Schöpfung besteht zunächst nur ein Unterschied von früher oder später. Aber dieser Unterschied der Zeit ist für orientalisches Denken auch ein Unterschied des Wertes. Alles Erstgeborene ist im AT deshalb Jahwe geweiht; der Älteste ist in Recht und Religion, Familie und Volk, Herr seines Geschlechtes, sein Bewahrer und Erhalter. (Zitat-Ende)
(Anmerkung von mir:
Ernst Lohmeyer [1890-1946] war ein deutscher evangelischer Theologe, der an der Universität Tübingen Theologie, Philosophie und Orientalische Sprachen studiert hat.)
Traugott Holtz, "Geschichte und Theologie des Urchristentums" (1991), Seite 228
Durch die Wendung »Erstgeborener aller Schöpfung« allerdings ist auch der Christus selbst in die Schöpfung hineingenommen, zugleich ihr aber nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich vor-, und das heißt übergeordnet. (Zitat-Ende)
(Anmerkung von mir: Traugott Holtz [1931–2007] war von 1971 bis 1993 Professor für Neues Testament an der Theologische Fakultät der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg. Von 1971–2001 war er Mitherausgeber der Theologischen Literaturzeitung, für die er die Bereiche Neues Testament, Bibelwissenschaft und Judaistik verantwortlich betreute.)
Ohne das Verständnis der ZJ grundsätzlich zu teilen, bestätigen diese Autoren, dass man Kolosser 1, 15 genauso verstehen kann, wie es die ZJ tun. Dieses Verständnis spiegelt sich auch in verschiedenen kommunikativen Bibelübersetzungen wieder. So gab der evangelische Theologe und Pfarrer Jörg Zink (1922-2016) Kolosser 1, 15 wie folgt wieder:
Das Neue Testament, Jörg Zink 1965: Er ist das sichtbare Bild des unsichtbaren Gottes. Er entstand ehe die Welt war.
Auch der Theologe Fred Ritzhaupt schließt Jesus in seiner Übertragung des Kolosser-Briefes mit in die Schöpfung ein:
Willkommen daheim - Eine Übertragung des Neuen Testaments, Fred Ritzhaupt 2015: Wenn wir Jesus anschauen, wissen wir, wie Gott ist, den wir mit unseren Augen nicht sehen können. Er ist der Erstgeborene unter allen Geschöpfen
Zu guter Letzt sei hier noch die ursprüngliche Fassung der Guten Nachricht Bibel genannt, in welcher Jesus - laut Kolosser 1, 15-16 - nicht nur als "gemacht" bezeichnet wird, sondern in der auch das Wort "andere" genauso eingefügt wurde, wie in der NWT / NWÜ:
Gute Nachricht für Sie - NT 68: In Christus zeigt uns der unsichtbare Gott sein sichtbares Bild. Er ist der erste, den Gott gemacht hat. Durch ihn hat Gott alles andere im Himmel und auf der Erde gemacht
Wenn dieses Verständnis - im Falle der ZJ - von Bruce Metzger kritisiert wird, dann geschieht das nicht, weil dieses Verständnis rein sprachlich nicht möglich wäre, sondern weil Metzger und andere Kritiker der ZJ dieses Verständnis nicht mit den eigenen theologischen Ansichten vereinbaren können. Christus "darf" für diese Personen einfach nicht zur Schöpfung gehören, das ist auch Bruce Metzger wichtig, wie seine Bezugnahme auf einen weiteren Bibelvers zeigt:
Zitat von Bruce MetzgerThe New World Translation, in harmony with its bold twisting of Col. 1:15-17 (considered above), is also in error at Rev. 3:14, where it makes the exalted Christ refer to himself as “the beginning of the creation by God.” The Greek text of this verse (ἡ αρχη της κτισεως του θεου) is far from saying that Christ was created by God, for the genitive case, του θεου, means “of God” and not “by God” (which would require the preposition ὑπο). Actually the word αρχη, translated “beginning,” carries with it the Pauline idea expressed in Col. 1:15-18, and signifies that Christ is the origin, or primary source, of God’s creation (compare also John 1:3, “Apart from him not even one thing came into existence”).
Übersetzung:
Im Einklang mit ihrer kühnen Verdrehung von Kol. 1, 15-17 (oben betrachtet), irrt die Neue-Welt-Übersetzung auch in Offb. 3:14, wo sie den erhabenen Christus dazu bringt, sich selbst als "den Anfang der Schöpfung durch Gott" zu bezeichnen. Der griechische Text dieses Verses (ἡ αρχη της κτισεως του θεου) ist weit davon entfernt zu sagen, dass Christus von Gott geschaffen wurde, denn der Genitiv το θ θεο bedeutet "von Gott" und nicht „durch Gott“ ( was die Präposition ὑπο erfordern würde). Tatsächlich bringt das mit „Anfang“ übersetzte Wort "αρχη" die in Col. 1: 15-18 ausgedrückte paulinische Idee mit sich und bedeutet, dass Christus der Ursprung oder die primäre Quelle von Gottes Schöpfung ist (vergleiche auch Johannes 1: 3, „Ohne ihm ist noch nicht einmal eine Sache entstanden").
Laut Metzger kann του θεου nicht "by God" (=durch Gott), sondern nur "of God" (=von Gott) bedeuten, da für die in der NWT genannte Bedeutung die Präposition ὑπο erforderlich wäre. Hierzu ist anzumerken, dass die deutsche NWÜ hier genau wie die Elberfelder Bibel mit "Anfang der Schöpfung Gottes" übersetzt. Die englische NWT konkretisiert das noch, was von Metzger als "Irrtum" betrachtet wird. Er behauptet außerdem, dass dieser Vers weit davon entfernt sei, Jesus als ein Geschöpf Gottes zu bezeichnen. Zu guter Letzt schreibt Metzger, dass das mit "Anfang" übersetzte Wort αρχη Jesus als den "Ursprung" der Schöpfung (und somit als Schöpfer) bezeichnet. Hat er Recht?
Ich habe per E-Mail einen griechischen (orthodoxen) Professor für biblische Theologie gefragt, ob für die Übersetzung "...by God" tatsächlich die Präposition ὑπο erforderlich wäre. Seine schriftliche Antwort lautete:
"...im griechischen Satz und in seiner Syntax „ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ Θεοῦ“ handelt es sich eindeutig um einen sog. genetivus subjectivus im Sinne von: „Gott schuf die Creation“. Mit anderen Wort: Gott ist das Subjekt der Schöpfung. Damit betrachte ich beide englische Übersetzungsvariationen (by, of) als möglich..." (Zitat-Ende)
Hier wird etwas ausgesprochen, was bei Metzger völlig unerwähnt bleibt, nämlich, dass es verschiedene Genetive gibt. Ein subjektiver Genitiv drückt in diesem Fall aus, dass Gott als Subjekt der Schöpfung diese herbeigeführt hat. Gemäß der Grammatik von Raphael Kühner bezeichnet dieser Genetiv "immer ein Täthiges", wobei er aus den Schriften Homers das Beispiel τέλος θανάτοιο anführt, was korrekt im Sinne von "das vom Tode herbeigeführte Ende" zu verstehen ist (siehe Raphael Kühner, "Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache - Zweiter Theil" 1835, Seite 142-143). Würde man von einem objektiven Genetiv ausgehen, könnte man auch mit "Ende des Todes" übersetzen, was in dem von Kühner erwähnten Fall aber nicht gemeint ist. Geht man in Offenbarung 3, 14 ebenfalls von einem subjektiven Genetiv aus, würde das bedeuten, dass man "die Schöpfung Gottes" im Sinne von "die von Gott herbeigeführte Schöpfung" verstehen kann. Gemäß dem oben zitierten Professor ist der in Offenbarung 3, 14 gebrauchte Genetiv "eindeutig" ein sogenannter "genetivus subjectivus". Was wäre die Alternative? Hätten wir hier einen objektiven Genitiv müssten wir davon ausgehen, dass Jesus der "Anfang der Erschaffung Gottes" ist. Genauso könnte man auch die Übersetzung "...creation of God" verstehen, denn im Englischen kann "creation" sowohl "die Schöpfung", als auch "die Erschaffung" sein. Die Wiedergabe mit "creation by God" ist also nicht nur möglich, sondern strenggenommen sogar noch genauer und unmissverständlicher. Metzgers Behauptung, dass die Präposition ὑπο erforderlich wäre, um den Text entsprechend verstehen zu können ist falsch. Entweder hat er das nicht gewusst - was nicht für seine Kompetenz sprechen würde, oder er wollte seinen Lesern diese Information vorenthalten - was nicht gerade von Fairness und Aufrichtigkeit zeugen würde.
Was ist von Metzgers Aussage zu halten, dass der griechische Text "weit davon entfernt" sei, den Christus als von Gott geschaffen zu bezeichnen?
In der englischen (und trinitarischen) NET BIBLE wird es in einer Fußnote zu Offenbarung 3, 14 zwar als "unwahrscheinlich" bezeichnet, dass Jesus hier als erstes Geschöpf bezeichnet werden soll, dennoch hat man fairer Weise eines der bekanntesten Wörterbücher zum Neuen Testament, nämlich das von Bauer, Arndt & Gingerich mit den folgenden Worten zitiert: "the mng. beginning = ‘first created’ is linguistically probable" (Übersetzung: "...linguistisch ist die Bedeutung Anfang = 'zuerst Erschaffener' wahrscheinlich"). Das der griechische Wortlaut genau so verstanden werden kann, bestätigte auch der Gelehrte und Bibelkommentator C. F. M. Moule, der über Kolosser 1, 15 folgendes schrieb:
C. F. D. Moule, "The Epistles to the Colossians and to Philemon" (1957), Seite 63
A comparable ambiguity of phrase is found in Rev. iii. 14, where ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως could (merely in itself and without taking wider considerations into account) mean 'the first among created things'.
Übersetzung:
Eine vergleichbare Mehrdeutigkeit des Ausdrucks findet sich in Offenbarung 3, 14, wo ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως (isoliert betrachtet und ohne Berücksichtigung weiterer Überlegungen) "das erste unter den geschaffenen Dingen" bedeuten könnte. (Zitat-Ende)
Zum Vergleich:
Dr. Heinrich August Wilhelm Meyer, "Kritisch exegetischer Kommentar über das Neue Testament - Sechzehnte Abtheilung" (1859), Seite 195
Der Wortlaut an sich lässt nur zwei Auffassungen zu: entweder wird Christus als der ,,Anfang der Schöpfung Gottes“, d. h. als das erste Geschöpf (vgl. zu ägy. Gen. 49, 3. Deut. 21, 17) Gottes bezeichnet (vgl. Prov. 8, 22), wie mit den Arianern noch Ewald und Züll. annehmen – Castalio sagte: chef d'oeuvre. Omnium Dei operum excellentissimum atque primum – oder der Herr wird als das principium activum der Schöpfung gedacht (Andr., Areth., N. de Lyra, Vatabl., Calov, Vitr., Wolf, Stern, Hengstb., Ebrard ; vgl. auch de Wette). (Zitat-Ende)
Professor Dr, Daniel Schenkel (Herausgeber), "Bibel-Lexicon: Realwörterbuch zum Handgebrauch für Geistliche und Gemeindeglieder - Zweiter Band" (1869), Seite 24
Im Offenbarungsbuch wird auch noch der erhöhte Jesus scharf von Gott dem Vater unterschieden (Offb. 1, 5 fg.; 5, 9; 7, 10; 14,4; 19, 10; 22, 1), obwol er als der „Anfang der Schöpfung Gottes" betrachtet wird (Offb. 3, 14). Schon aus diesem Umstand ergibt sich, daß Christus im Offenbarungsbuche nicht als eine zweite göttliche (Gott wesensgleiche) Persönlichkeit, als Gott-Sohn neben Gott-Vater, vorgestellt wird (wie z. B. Düsterdieck auf seinem kirchlich befangenen Standpunkt behauptet), sondern ebenfalls als das erste vorweltliche herrlichste Geschöpf, weshalb er der erste in der Schöpfung „Gottes" heißt, der durch diese Bezeichnung als Schöpfer von ihm, einem geschaffenen Wesen, unterschieden wird. (Zitat-Ende)
Albert Barnes, "Notes, Explanatory and Practical, on the Book of Revelation" (1859), Seite 122
If it were demonstrated from other sources that Christ was, in fact, a created being, and the first that God had made, it cannot be denied that this language would appropriately express that fact.
Übersetzung:
Wenn andere Quellen beweisen würden, dass Christus tatsächlich ein geschaffenes Wesen, und der Erste war, den Gott gemacht hat, dann würde diese Ausdrucksweise unbestreitbar diesen Sachverhalt angemessen ausdrücken. (Zitat-Ende)
Friedrich Jacob Züllig, "Johannes des Gottbesprachten, eschatologische Gesichte - Erster Theil" (1834), Seite 575
Ferner ist er nicht absolut der Erste, sondern nur in sofern, als er zuerst erschaffen worden. Der absolut – Erste, ist der eigentliche Jehova, der Schöpfer; Er aber ist nur der Erstling der Schöpfung Gottes, nach dem A. T., wo jene Weisheit sagt: Jehova schuf mich als Anfang seines Weges, (Weltplanes, Handelns, Erschaffens); vor an, vor seinen Werken –; daher denn das zu einem Namen verbundene: Anfang-seines-Weges (reschith darco,) auch bei den Rabbinen ein Beiname des Messias ist. „Der Wortsinn besagt, daß der Messias zuerst von Gott geschaffen worden sei, und nach dem Dogma der Juden zur Zeit Christi, muß dieß ohne Zweifel für den wirklichen Sinn der Stelle erkannt werden.“ So hier Ewald, sehr richtig. Was für dogmatische Bedenklichkeiten sich gegen die Vorstellung eines geschaffenen Messias erheben, das geht den Erklärer, als solchen, nichts an, sondern ist eine Sache, die der Dogmatiker mit Johannes selbst auszumachen hat. (Zitat-Ende)
(Anmerkung von mir:
Züllig war ein evangelischer Pfarrer und Doktor der Theologie.)
Wenn Metzger behauptet, der griechische Text sei "weit davon entfernt" Jesus als Geschöpf zu bezeichnen, dann ist das schlicht und ergreifend falsch! Ansonsten würde es nicht so viele Gelehrte geben, welche darauf hinweisen, dass man den griechischen Text genau so verstehen kann.
Was ist von Metzgers Aussage zu halten, dass das Wort "arche" Jesus nicht als "Anfang", sondern als "Urheber" oder "Ursprung" der Schöpfung bezeichne?
Dass der Ausdruck in diesem Sinne verstanden werden kann steht außer Frage. Aber wie verwendeten die Bibelschreiber das Wort "arche"? Interessanter Weise findet sich im gesamten NT keine andere Stelle, an welcher "arche" für einen "Ursprung" stehen könnte. Nur in Offenbarung 3, 14 kommt die Bedeutung "Urheber" - rein sprachlich gesehen - überhaupt in Frage. Sucht man nach Belegstellen für "arche" im Sinne von "Ursprung", so findet man diese ausschließlich in der jüdischen (außerbiblischen) Weisheitsliteratur, sowie in den Schriften griechischer Philosophen. Auch hier haben die ZJ also den biblischen Sprachgebrauch auf ihrer Seite, während Metzger auch in diesem Fall von einer Ausnahme ausgehen muss.
Interessant ist in diesem Zusammenhang Kolosser 1,18. Hier wird Jesus sowohl als der "Anfang" (arche), aber auch als der "Erstgeborene" (prototokos) aus den Toten bezeichnet. Gemeint ist natürlich, dass er einer dieser Toten war und als "Erster" oder "Ranghöchster" dieser Toten zum ewigen Leben auferweckt wurde. Wie wir bereits gesehen haben, wurde Jesus bereits drei Verse vorher als "Erstgeborener" (prototokos), nämlich als "Erstgeborener aller Schöpfung" bezeichnet. Und in Offenbarung 3, 14 als "Anfang" (arche), nämlich "der Schöpfung Gottes". Der Vergleich zu Kolosser 1, 18 legt nahe, dass Jesus auch hier ein Teil der Gruppe (= der Schöpfung) ist. Weitere Verse, in denen sowohl "arche", als auch "prototokos" vorkommen:
1. Mose 49, 3 (Septuaginta Deutsch, Wolfgang Kraus und Martin Karrer 2009): Ruben, du mein Erstgeborener [= prototokos], meine Kraft und Erstling [= arche] meiner Kinder, hart zu ertragen und hart, selbstsüchtig.
5. Mose 21, 17 (Septuaginta Deutsch, Wolfgang Kraus und Martin Karrer 2009): Sondern er soll den erstgeborenen [=prototokos] Sohn der Verhassten berücksichtigen, sodass er ihm von allem, von dem man findet, dass es ihm gehört, doppelt gibt, denn dieser ist der Anfang [= arche] seiner Kinder und ihm kommt das Erstgeburtsrecht zu.
Niemand käme hier auf die Idee zu behaupten, dass der "prototokos" nicht auch Teil der Familie wäre, sondern ihr nur als überlegen gegenüber gestellt worden wäre. Und niemand würde den Ausdruck "arche" im Sinne von "Ursprung / Urheber" deuten. Der "Erstling meiner Kinder" gehört selbstverständlich zur Gruppe der Kinder dazu!
Die dritte Bibelpassage, welche die ZJ anführen, wenn es darum geht, dass Jesus von ihnen als Geschöpf angesehen wird, ist Sprüche 8,22. Auch auf diesen Vers geht Metzger ein:
Zitat von Bruce MetzgerThe passage in the Old Testament to which Jehovah’s Witnesses (and Arians of every age) appeal most frequently is Proverbs 8:22 ff. The translation usually given is the following, or something similar to it: “Jehovah made me [that is, Wisdom, interpreted as the Son] in the beginning of his way, before his works of old.” This rendering understands the verb קנה to be used here with the meaning “to create.” The true translation of this passage, however, according to a learned study by the eminent Semitic scholar, F.C. Burney, must be, “The Lord begat me as the beginning of his way ...”
Übersetzung:
Die Stelle im Alten Testament, auf die Jehovas Zeugen (und Arianer jeden Alters) am häufigsten Bezug nehmen, ist Sprüche 8,22 ff. Die gewöhnlich gegebene Übersetzung ist die folgende, oder ähnliches: "Jehova hat mich (nämlich die Weisheit, interpretiert als der Sohn) zu Anfang seines Weges, vor seinen alten Werken, gemacht." Diese Wiedergabe versteht das Verb קנה , als sei es hier mit der Bedeutung "erschaffen" verwendet worden. Die wahre Übersetzung dieser Passage ist jedoch einer Studie des bedeutenden Semitisch Gelehrten F. C. Burney zufolge "Der Herr hat mich als Anfang seines Weges gezeugt..."
Wenn Metzger hier eine einzige Studie von F. C. Burney als "Beleg" dafür anführt, dass die ZJ diesen Text falsch verstehen würden, dann sagt das herzlich wenig aus. Die gängigen Standartwerke zur hebräischen Sprache geben mit Bezug auf Sprüche 8, 22 das Wort קנה mit "schaffen" wieder (siehe u. a. Wilhelm Gesenius, "Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament", 17. Auflage 1962, Seite 717; Ernst Jenni, Claus Westermann, "Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament - Band 2" 1976, Spalte 656-657; Dr. D. Eduard König, „Hebräisches und aramäisches Wörterbuch zum Alten Testament, 7. Auflage 1936, Seite 397-398). So auch diverse Bibelübersetzungen:
Einheitsübersetzung 1980: "Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege..."
Das Alte Testament, Hans Bruns 1962: "Der HERR hat mich geschaffen..."
Die Bibel, Ernst Simon 1976: "Der HERR hat mich als Erstling seines Weges (Wirkens) geschaffen (besessen)..."
Elberfelder 2006: "Der HERR hat mich geschaffen als Anfang seines Weges..."
Herder Bibel 2005: "Mich hat der Herr geschaffen als Erstling seines Waltens..."
Gute Nachricht 2000: "Am Anfang hat der HERR mich geschaffen, ich war sein erstes Werk vor allen anderen..."
Neues Leben 2006: "Der Herr hat mich ganz am Anfang geschaffen, als erste Schöpfung noch vor allen anderen..."
Pattloch Bibel 1979: "Mich schuf der Herr als Erstling seines Wirkens..."
Die Heilige Schrift, Hermann Menge 1939: "Der HERR hat mich geschaffen als den Erstling seiner Schöpfertätigkeit..."
Jerusalemer Bibel 1968: "Mich hat Jahwe geschaffen als Erstlings seines Waltens..."
Die Heilige Schrift, Franz Eugen Schlachter 1920: Jehova hat mich geschaffen als den Anfang seiner Wege..."
Hoffnung für Alle 2002: "Der Herr schuf mich vor langer Zeit, ich war sein erstes Werk, noch vor allen anderen..."
Dass es hier verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten gibt, ist unbestritten. Die ZJ haben noch nie etwas anderes behauptet, sondern schlicht und ergreifend darauf verwiesen, dass die Juden hier von der "Erschaffung" der Weisheit ausgegangen sind, was man daran erkannt, dass der Vers in der griechischen Septuaginta entsprechend übersetzt wurde. Dementsprechend war es in den frühchristlichen Schriften der ersten Jahrhunderte nichts ungewöhnliches, wenn Jesus dort mit der "Weisheit" aus Sprüche 8,22 identifiziert - und im Einklang mit der Septuaginta - als "erschaffen" bezeichnet wurde:
Martin Werner, "Die Entstehung des chistlichen Dogmas" (2007), Seite 84-85
Der Christus, in dessen Würde und Wesen nach ältester Lehre Jesus durch seine Auferstehung erhöht und verwandelt worden ist, gilt auch dem Judenchristentum der nachapostolischen Zeit als hohes Engelwesen. Nach dem ausführlichen Bericht des Epiphanius gilt der Christus den Ebioniten als ein von Gott nicht gezeugter, sondern geschaffener und zum Kyrios über die Engelheere, ja über alle Kreatur Gottes überhaupt eingesetzten Erzengel. Insbesondere hat Gott dem Erzengel Christus die Herrschaft im "künftigen Aeon" zugewiesen. Das ist reinste, ursprünglichste apokalpytisch-eschatologische Engelchristiologie. Bei Elchasai sodann heißt der Christus "Sohn Gottes", ist aber vorgestellt als ein Engel männlichen Geschlechts von ungeheurer Größe und gilt selbstverständlich als "Geschöpf" Gottes. Die Valentinianer haben den Christus als engelgleiches Wesen charakterisiert. Der Valentinianer Theodot nennt den Christus einen "Engel der Pleroma" und sagt von ihm, er sei nur aus Demut nicht als Engel, sondern als Mensch erschienen. Auch hier heißt der Engelchristus "Kyrios". [...] Aber auch die Theologen der Großkirchen liefern noch Belege. Justin ist, was schon vor hundert Jahren den Dogmenhistorikern zu Diskussionen Anlass gegeben hat, imstande, den Logos-Sohn mit dem "Heer der anderen guten Engel als ihm gleicher Wesen" in eine Kategorie zusammenzufassen, und stellt dabei dieses Engelheer mitsamt dem Logos-Christus noch vor den (prophetischen) Geist. Daher ist der Logos-Christus für Justin auch der Archistrategos, der oberste Engelfürst und Anführer der Engelheere.
Seite 92-93
Nachdem der alexandrinische Bischof Alexander über den Presbyter Arius und die Seinen auf Grund eines alexandrinischen Synodenbeschlusses von etwa 320 die kirchliche Verurteilung ausgesprochen und damit den größten Streit des 4. Jahrhunderts eröffnet hatte, erhielt er neben anderen Briefen aus verschiedenen Teilen der Ostkirche auch ein Schreiben von dem kilikischen Bischof Athanasius von Anazarbus, in dem dieser ihn betroffen und erstaunt nach der Begründung dieses Vorgehens fragte: "Warum tadelst du denn die Anhänger des Arius, wenn sie sagen, der Sohn sei als Geschöpf aus dem Nichts erschaffen?"
Seite 97-98
Die Krisis des arianischen Streites bedeutet einentiefgreifenden Umschwung der ganzen bisherigen Situation. Gewisse Tatsachen sind für diesen Umschwung symptomatisch. Noch Irenäus konnte Mk 13, 32 durchaus so auslegen: Der Sohn bekenne, nicht zu wissen, was nur der Vater weiß, eben "damit wir durch ihn selber lernen, daß der Vater über allem ist", als der, der größer ist auch als der Sohn. Die nicänischen Theologen müssen nun aber auf einmal leugnen, daß Jesus solches über den Sohn gesagt haben könne. Im altbekannten Schriftbeweis für die Logoschristiologie Prov 8, 22 ff fanden die Ausleger des 2. und 3. Jahrhunderts einhellig und eindeutig die Erschaffung des präexistenten Logos-Christus ausgesprochen. Wenn nun aber selbstverständlich auch die Arianer die Stelle so auslegen, so gilt dies auf einmal für falsch: die Erschaffung dürfe, so heißt es jetzt, nur auf die Erzeugung der menschlichen Natur Christi in der Menschwerdung bezogen werden. Wenn noch ein Theologe wie Tertullian auf Grund seiner subordinatianischen Denkweise getrost gelegentlich behaupten konnte, vor aller Schöpfung sei der Vatergott im Uranfang "allein" gewesen, und so habe es ein Zeit gewesen, in welcher "der Sohn noch nicht da war", so brauchte an solchen Aussagen in der Großkirche seiner Zeit keinerlei Strei entstehen, und es enstand auch keiner. Jetzt aber, da Arius mit ungefähr den gleichen Worten das Gleiche sagt, erregt er damit in der Kirche einen gewaltigen Aufruhr, und der eine dieser Sätze wird in den Anathematismen des neuen nicänischen Bekenntnisses als Härasie verurteilt. (Zitat-Ende)
Abschließend zitiere ich, was die ZJ in der "Erwachet"-Ausgabe vom 08.07.1979 selbst darüber geschrieben haben, was Metzger und andere ihnen hinsichtlich Kolosser 1,15-17 und Offenbarung 3,14 vorgeworfen haben:
Zitat von Erwachet!Alles anzeigen„Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles in den Himmeln und auf der Erde geschaffen worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alles ist durch ihn und für ihn geschaffen. Und e r ist vor allem, und alles besteht durch ihn“ (Kol. 1:15-17, Revidierte Elberfelder Übersetzung, 1975). Was meinte der Apostel mit der Bezeichnung „der Erstgeborene aller Schöpfung“? Paulus sagt über diesen Punkt noch mehr: „Er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem den Vorrang habe“ (Kol. 1:18, EB, 1975).
Sowohl das griechische Wort für „Erstgeborener“ (prõtótokos) als auch das für „Anfang“ (archẽ) beschreibt Jesus als den Ersten einer Gruppe oder Klasse, nämlich „des Leibes, der Gemeinde“, und daher hat er in dieser Hinsicht den Vorrang. Er hat auch den Vorrang, indem er als erster von den Toten zu endlosem Leben auferweckt wurde (1. Kor. 15:22, 23). Dieselben griechischen Wörter erscheinen in der griechischen Septuaginta in 1. Mose 49:3: „Ruben, du bist mein Erstgeborener [prõtótokos], du bist meine Stärke und das erste [archẽ, „Anfang“] meiner Kinder.“ (Vergleiche 5. Mose 21:17, Septuaginta.) Solche Bibeltexte legen die vernünftige Schlußfolgerung nahe, daß der Sohn Gottes deshalb als der Erstgeborene aller Schöpfung gilt, weil er das erste Geschöpf Gottes ist. Jesus bezeichnet sich sogar selbst als den „Anfang [archẽ] der Schöpfung Gottes“ (Offb. 3:14, EB, 1975).
Es gibt viele, die nicht mit dem Gedanken übereinstimmen, daß Jesus eine erschaffene Person ist. Sie meinen, Jesus selbst könne kein Geschöpf sein, da ja — während seiner vormenschlichen Existenz im Himmel — in ihm alles geschaffen wurde. [...] Sie meinen, der griechische Ausdruck (in Offenbarung 3:14) für „der Anfang der Schöpfung Gottes“ müßte „der Ursprung (oder ,Haupturheber‘) der Schöpfung Gottes“ bedeuten. Zu den Verfechtern dieser Auffassung gehört Henry Alford, ein berühmter Gelehrter der griechischen Sprache. Nichtsdestoweniger räumt er in seinem Werk The Greek Testament ein: „Das Wort archẽ allein würde die Bedeutung zulassen, daß Christus das erste erschaffene Wesen ist: Siehe 1. Mose 49:3; 5. Mose 21:17 und Sprüche 8:22. Und so fassen es die Arianer auf und auch einige, die ihnen gefolgt sind; z. B. spricht Castalio von einem ,Chef d’œuvre‘: ,omnium Dei operum excellentissimum atque primum‘ [was „das erste und vorzüglichste aller Werke Gottes“ bedeutet]; und so auch Ewald und Züllig.“
Um Offenbarung 3:14 als Hinweis dafür zu sehen, daß Jesus nicht die erste erschaffene Person, sondern „der aktive Urheber“ der Schöpfung ist, muß man — so heißt es in The Expositor’s Greek Testament — das Wort archẽ so auslegen „wie in der griechischen Philosophie und [nichtbiblischen] jüdischen Weisheitsliteratur, nämlich als aitía oder Ursprung“. Die inspirierten Bibelschreiber übernahmen jedoch niemals die Ideen griechischer Philosophen.
Doch wie konnte Jesus ein Geschöpf gewesen sein, wenn in ihm alles geschaffen wurde? In der Bibel wird das Wort „alles“ so gebraucht, daß Ausnahmen möglich sind. Zum Beispiel lesen wir in 1. Korinther 15:27 (EB, 1975): „Wenn es aber heißt, daß [Jesus Christus] alles unterworfen sei, so ist klar, daß der [Gott] ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat.“ Als weitere Veranschaulichung möge die Stelle dienen, wo es heißt, daß „durch e i n e n Menschen“, nämlich Adam, „der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist“ (Röm. 5:12, EB, 1975). Adam gehörte zwar nicht zu „allen Menschen“, zu denen der Tod „durchgedrungen“ ist (da vor Adam kein Mensch existierte, der ihm den Tod hätte übertragen können), aber nichtsdestoweniger war er ein Mensch. Ebenso war Jesus, obwohl er nicht zu allem gehörte, was durch ihn ins Dasein kam, nichtsdestoweniger eine erschaffene Person, das erste Geschöpf Gottes. Das griechische Wort pánta bedeutet an einigen Stellen dem Zusammenhang nach „alle anderen“, wie zum Beispiel in 1. Korinther 15:24 und 6:18. Deshalb kann man in der Neuen-Welt-Übersetzung lesen: „Durch ihn sind alle anderen Dinge . . . erschaffen worden . . . Auch ist er vor allen anderen Dingen“ (Kol. 1:16, 17).
Da Jesus der Erstgeborene aller Schöpfung ist, kommt hier das Erstgeburtsrecht zur Geltung. Schon seit alters erfreute sich jeweils der erstgeborene Sohn besonderer Vorrechte, indem er beispielsweise die Nachfolge als Haushaltungsvorstand antrat und zwei Teile des väterlichen Erbes erhielt (5. Mose 21:15-17). Im alten Israel wurde auch die Königsherrschaft und das Priestertum vom Vater auf den erstgeborenen Sohn übertragen. (Siehe 2. Chronika 21:3.)Da Jesus als der Erstgeborene aller Schöpfung eine erschaffene Person ist, kann er nicht Gott, der Allmächtige, sein. Die Bibel schreibt ihm wiederholt eine Stellung zu, in der er Gott untergeordnet ist. Zum Beispiel schrieb der Apostel Paulus in bezug auf den auferstandenen Jesus Christus: „Ich will aber, daß ihr wißt, daß Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, das Haupt der Frau aber der Mann, Christi Haupt aber Gott“ (1. Kor. 11:3, EB, 1975). Als Jesus Christus dem Apostel Johannes die inspirierte „Offenbarung“ gab, sagte er über sich selbst: „Wer überwindet, den werde ich im Tempel meines Gottes zu einer Säule machen, und er wird nie mehr hinausgehen; und ich werde auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen neuen Namen“ (Offb. 3:12, EB, 1975). Ist dir aufgefallen, daß Jesus in diesem einzigen Vers viermal von seinem Vater, Jehova, als von meinem Gott spricht? (Vergleiche Philipper 2:5, 6, EB, 1975.)
Dadurch soll keineswegs die erhöhte Position in Abrede gestellt werden, die Jesus nach Gott einnimmt. Bevor Jesus in den Himmel auffuhr, sagte er zu seinen Jüngern: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“ (Matth. 28:18, EB, 1975). Es war angebracht, daß Gott seinem Sohn eine solche Autorität ‘gab’, da sein Sohn der Erstgeborene aller Geschöpfe ist. In Übereinstimmung mit dem Erstgeburtsrecht konnte der Apostel Paulus über Jesus schreiben: „[Gott hat] ihn aus den Toten auferweckt und zu seiner Rechten in der Himmelswelt gesetzt . . ., hoch über jede Macht und Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der nicht nur in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen genannt werden wird. Und alles hat er seinen Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Gemeinde gegeben“ (Eph. 1:20-23, EB, 1975).
Gane MacShowan
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