Dieser Artikel nimmt kritisch Bezug auf die folgende Quelle:
Dietrich Hellmund, "Die „Neue-Welt-Übersetzung“ – die Bibel der Zeugen Jehovas" (erschienen in "Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 69. Jahrgang, 1/06")
Vor über 12 Jahren hat der evangelische Theologe Dietrich Hellmund einen Artikel über die „Neue-Welt-Übersetzung“ geschrieben, welcher in „Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (69. Jahrgang, 1/06) veröffentlicht wurde. Der Artikel ist insofern interessant, dass Hellmund hier einige Kritikpunkte nennt, die bisher eher selten geäußert wurden. Ich habe mir einen Nachmittag Zeit genommen, um mich mit dem Artikel, einigen Bibelübersetzungen und meinen Wörterbüchern an den Computer zu setzen. Das Ergebnis dieses Nachmittages habe ich schriftlich festgehalten. Dabei sei noch erwähnt, dass mir alle genannten Quellen auch tatsächlich vorliegen, oder im Internet für jedermann zugänglich sind.
Dr. Hellmund, Seite 23:
Empfehlenswert ist, wenn man – wie in der NWÜ geschehen – das Gebot 2. Mose 20,13 übersetzt: „Du sollst nicht morden“ (statt „nicht töten“). Das ist genauer als der uns vertraute Luthertext. Dies Ermessen des Übersetzers ist jedoch deutlich überschritten, wenn 1. Joh 5,8 in der NWÜ wegen der Ablehnung der Dreieinigkeitslehre lautet: „Diese drei sind in Übereinstimmung“. Das Wort kommt im Urtext gar nicht vor. Im Deutschen wäre es ein bekanntes Fremdwort „Harmonie“. Was aber wirklich dasteht, war dem Übersetzerteam sehr lästig. Sprachlich ist es ohne Schwierigkeit, obwohl es aus Zahlwörtern besteht: „Die Drei sind zum einen“ (hoi treis eis to hen eisin). Oder: Die 3 sind 1.
(Zitat-Ende)
Warum sollte diese Wiedergabe etwas mit der „Ablehnung der Dreieinigkeitslehre“ zu tun haben? In 1. Johannes 5, 8 geht es nicht um Vater, Sohn und heiligen Geist, sondern um Geist, Wasser und Blut! Mir scheint, hier liegt eine Verwechselung mit dem Comma Johanneum vor! Überhaupt: Haben die nachfolgend zitierten Übersetzer die Dreieinigkeitslehre ebenfalls abgelehnt?
Luther 1984: der Geist und das Wasser und das Blut; und die drei stimmen überein.
Herder Bibel 2005: der Geist, das Wasser und das Blut, und diese drei stimmen überein.
Elberfelder Bibel 1905: der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei sind einstimmig
Schlachter 2000: der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei stimmen überein.
Die Heilige Schrift, Hermann Menge 1939: der Geist, das Wasser und das Blut; und diese drei sind vereint (oder: stimmen in ihrem Zeugnis überein).
War diesen Übersetzern das, „was wirklich dasteht“ ebenfalls „lästig“? Oder haben die Übersetzer der NWÜ hier einfach nur eine naheliegende und durchaus mögliche Übersetzungsart gewählt? Tatsächlich ist hier von dem übereinstimmenden Zeugnis der drei genannten "Zeugen" die Rede! Das wurde auch in den meisten "kirchlichen" Übersetzungen so ausgedrückt wie in der NWÜ!
Dr. Hellmund, Seite 23:
Eine weitere Korrektur durch Interpretation erlitt Markus 14,22: „Das ist mein Leib“. Luthers Text, wörtlich und richtig, lässt seinem und dem symbolischen Verständnis Raum und fordert das eigene Urteil des Lesers heraus. Die NWÜ sagt hier: „Dies bedeutet meinen Leib“. Gespräche mit ZJ nur über diese Stelle zeigen mir, dass die NWÜ-Benutzer zu ganz abenteuerlichen Vorstellungen darüber kommen, was tatsächlich dasteht: Tuto estin to soma mu. Das kann man in der von der Wachtturm-Gesellschaft herausgegebenen Urtextausgabe, einer Wort-für-Wort-Übersetzung, auch so nachlesen: „This is the body of me“! (The Kingdom Interlinear Translation of the Greek Scriptures). In den beiden letztgenannten Fällen ging das ZJ-Team weit über den Rahmen einer Übersetzung hinaus und auch über die Grenze der intellektuellen und christlichen Redlichkeit.
(Zitat-Ende)
Also ging auch der Theologe Walter Bauer über die „Rahmen einer Übersetzung“ und über die „Grenze der intellektuellen (und christlichen?) Redlichkeit“ hinaus?
Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament (1958), Spalte 443:
3. erklärend: bedeuten, so in d. Formel τουτ εστιν das heißt, nämlich [...]. τουτο εστιν το σωμα μου dies bedeutet meinen Leib Mt 26, 26.
(Zitat-Ende)
Das τουτ εστιν auch im Sinne von „das bedeutet“ gebraucht wurde, kann man nicht nur bei Bauer, sondern in sämtlichen Wörterbüchern zur Griechischen Sprache nachlesen! Zur „intellektuellen Redlichkeit“ gehört es auch, so etwas zu erwähnen, oder es (falls man es nicht weiß) erst einmal nachzuprüfen.
Dr. Hellmund, Seite 20:
1.) Wenn durchgehend das griechische Wort „charis“ mit „unverdiente Güte“ statt mit „Gnade“ übersetzt wird, so finde ich das sehr gelungen. 2.) Wenn aber das griechische Wort „kolasis“ (Strafe, Züchtigung) mit dem Begriff „Abschneidung“ wiedergegeben wird, dann ist das nicht nur deswegen seltsam, weil der DUDEN, das maßgebliche deutsche Wörterbuch (Aufl. 1996) diesen Begriff nicht kennt. Wenn aber Matthäus 25,46 „ewige Kolasis“ nicht mit „ewiger Strafe“, sondern mit „ewiger Abschneidung“ übersetzt wurde, dann hat das dogmatische Gründe: Nach der ZJ-Lehre gibt es keine „ewige Strafe“ nach dem Tode, sondern nur totale Vernichtung, kein Bewusstsein mehr, nur ewigen Tod. „Ewige Strafe“ würde aus ZJ-Sicht einer ewigen Höllenqual gleichkommen. Die aber gibt es nicht, sagt die ZJ-Lehre. Um also den einfachen ZJ nicht auf „falsche Gedanken“ zu bringen, wird bewusst falsch und irreführend übersetzt. Hier wird etwas in die Bibel hineingetragen mittels einer angeblichen Übersetzung.
(Zitat-Ende)
Ob wir es hier tatsächlich mit einer "falschen" und "irreführenden" Übersetzung zu tun haben, lässt sich leicht überprüfen. Vorher sei noch erwähnt, dass eine „ewige Strafe“ aus ZJ-Sicht keineswegs „einer ewigen Höllenqual gleichkommen“ würde. Eine Erklärung zu Matthäus 25, 46 aus der Feder der Wachtturmgesellschaft zeigt, dass die ZJ gar kein Problem mit dem Ausdruck „Ewige Strafe“ haben:
Gottes tausendjähriges Königreich hat sich genaht (1973), Seite 290:
„Und diese werden in die ewige Strafe gehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.“ — Matthäus 25:46, Menge.
Wir sollten, was das Geschick der in dem Gleichnis erwähnten sinnbildlichen „Böcke“ betrifft, keine falsche Schlußfolgerung ziehen. Jesus sagte nicht, diese würden an einen Ort im geistigen Reich „gehen“, wo sie in alle Ewigkeit bei Bewußtsein gequält würden. Um ewig Qualen empfinden zu können, müßten sie ewig leben, denn ohne Leben gibt es kein Empfinden von Qual oder Freude. Jesus sagt aber deutlich, daß nur „die Gerechten“, die sinnbildlichen Schafe, „in das ewige Leben“ gehen. Die „ewige Strafe“, in die die ungerechten „Böcke“ gehen, ist somit genau das Gegenteil von dem „ewigen Leben“, in das die gerechten „Schafe“ gehen, nämlich der ewige Tod. Da dieser Tod von ewiger Dauer ist, handelt es sich dabei um eine „ewige Strafe“.
(Zitat-Ende)
Natürlich ist eine "ewige Strafe" nicht das Gleiche, wie ein "ewiges Bestrafen". Was bedeutet denn der Ausdruck „ewige Rettung“ in Hebräer 5, 9? Hört Jesus nie wieder auf, zu retten? Gemeint ist doch wohl, dass Jesus ein für alle mal gerettet hat, mit Auswirkungen, die ewiglich sind. Und was ist die „ewige Erlösung“ in Hebräer 9, 12? Auch hier geht es nicht darum, dass Jesus nie wieder aufhören würde zu erlösen, sondern es geht um eine einmalige Erlösung, die ewige Auswirkungen hat. So verstehen auch diverse Vertreter der Vernichtungslehre (z.B. die Adventisten, die Christadelphians, oder eben auch die ZJ) den Ausdruck „ewige Strafe“. Es gibt also gar keine „dogmatischen Gründe“, welche hier in der NWÜ für die „ewige Abschneidung“ verantwortlich sein könnten.
Wenn man den Übersetzern nun unterstellt „bewusst falsch und irreführend übersetzt“ zu haben, dann kann diese Aussage ja nur dann zutreffen, wenn der Ausdruck κόλασις ausschließlich „Strafe“, aber niemals „Abschneidung“ bedeuten kann. Tatsächlich wurden aber sowohl κολάζω, als auch das davon abgeleitete κόλασις im klassischen Griechisch auch für das Beschneiden von Bäumen, bzw. das Abschneiden von Ästen gebraucht! Auf diesen Sachverhalt haben bereits Adventisten wie James White hingewiesen:
James White, Uriah Smith, "The Biblical Institute" (1878), Seite 216-217
Matthew 25:46. “And these shall go away into everlasting punishment, but the righteous into life eternal.” As we have said, the punishment and the life mentioned in this text are of equal duration. But what is this punishment? The Greek word here used for punishment is kolasis, which is defined a curtailing, or pruning. The idea of “cutting off” is the prominent idea. The righteous go into everlasting life, but the wicked go into an everlasting “cutting off,” from something. What is that? Happiness? No, but life or existence such as is given to the righteous. But how, it will be asked, can death be an everlasting punishment? It is well understood that death is considered the highest punishment that can be inflicted in this world. And why? Because it deprives the individual of all the blessings of life which he might have enjoyed had he lived. So in the case of the wicked at the final Judgement. They are cut off from the eternal blessings of life in the kingdom of God which the righteous enjoy; and hence it is to them an everlasting punishment.
(Zitat-Ende)
Zum Vergleich:
Franz Passow, Handwörterbuch der Griechischen Sprache, Erster Band (4. Auflage 1831), Seite 1313
κολάζω, [...] verstümmeln, stutzen, stümpfen, beschneiden, behauen, verkürzen, abschneiden, abhauen, wegnehmen: in dieser Bdtg nur poet. bes. von Bäumen, sie beschneiden, das überflüssige Laub oder Holz wegnehmen, [...] in der Gerichtssprache, vom Kläger, einen zur Strafe vor Gericht ziehn, vom Richter, zur Strafe verurtheilen, bestrafen, Wolf Lept. p. 241. plagen, quälen, martern, bedrängen, drücken.
Seite 1314
κόλασις, εως, ἡ, (κολαζω) Verstümmlung, Stümpfung, Beschneidung, Hemmung, Beschränkung. 2) Züchtigung, Bestrafung mit Worten od. Handlungen.
(Zitat-Ende)
(Siehe auch Liddell & Scott, "A Greek-English Lexicon" 1897, Seite 824; V. C. F. Rost, "Griechisch-Deutsches Wörterbuch für den Schul- und Handgebrauch, Erster Band" 1852, Seite 579; W. Pape, „Handwörterbuch der griechischen Sprache“ 1842, Erster Band, Seite 1265!)
Dass diese Bedeutung von κολαζω auch zur Zeit Jesu noch bekannt war, lässt sich kaum bestreiten. Der im 2. Jahrhundert nach Christus lebende Arzt Galenus von Pergamon gebrauchte das Wort im übertragenen Sinne dafür, etwas Überflüssiges zu entfernen (siehe James Hope Moulton and George Milligan, The Vocabulary of the Greek Testament 1930, Seite 352).
Natürlich ist „ewige Strafe“ die naheliegenste Wiedergabe, da in Matthäus 25, 46 ja eine Gerichtsszene beschrieben wird. Andererseits hat das NT ja einen jüdischen Hintergrund. Im AT ist wiederholt davon die Rede, dass jemand - wörtlich übersetzt - „vom Volk abgeschnitten“ werden soll (z.B. in 2. Mose 12, 15). In Psalm 37, 38 steht, dass die Zukunft des Bösen „abgeschnitten“ wird. Auch im NT werden die Bösen wiederholt mit Ästen, Weinreben, oder Bäumen verglichen, die abgetrennt oder umgehauen werden (siehe Matthäus 3, 8-10; Johannes 15, 5-6; Römer 11, 19-21). Ich würde die Wiedergabe der NWÜ deshalb keineswegs ausschließen. Die Behauptung, man habe „bewusst falsch und irreführend übersetzt“ ist jedenfalls nicht haltbar, da „Abschneidung“ zu den lexikalischen Bedeutungen gehört, welche κόλασις haben kann. Diesen Sachverhalt verschweigt Hellmund in seinem Artikel, liefert gleichzeitig aber ein angebliches Motiv für die „Falschübersetzung“, welches auf die ZJ gar nicht zutrifft.
Dr. Hellmund, Seite 20:
„...bis zum Abschluss des Systems der Dinge“ (Matth 28,20)? Man fragt sich doch, was daran verständlicher sein soll, als der uns vertraute Text der Luther-Übersetzung. – Übrigens: das Wort „System“ kommt aus dem Griechischen. Schon die Schreiber des Neuen Testaments hätten es also verwenden können. Sie taten es nicht! Sollten heutige Übersetzer nicht ihren Willen respektieren? Die Urheber der NWÜ aber hatten auch hier ein lehrmäßiges Interesse daran, im NT nicht vom „Ende der Welt“ zu lesen. Nach ZJ-Lehre ist es nicht die Welt, die untergeht, sondern nur das ungerechte gegenwärtige System. Darum steht es so in der NWÜ!
(Zitat-Ende)
Dass "aion" nicht nur „Welt“, sondern auch „Zeitalter“, „Zeitgeist“ oder „Weltzustand“ bedeuten kann, erwähnt Hellmund mit keinem Wort. Um so interessanter ist es, was der Kommentator John McArthur über das Wort "aion" schreibt:
John McArthur, "Studienbibel" (2002), Seite 1701
Das gr. Wort für "Weltzeit" bezeichnet keinen Zeitabschnitt, sondern eine Ordnung bzw. ein System, und zwar insbesondere das gegenwärtige, von Satan regierte Weltsystem (s. Anm. zu Röm 12,2; 1 Joh 2,15.16; 5,19).
(Zitat-Ende)
Dementsprechend wird das Wort in verschiedenen Übersetzungen (und an den verschiedenen Bibelstellen) unterschiedlich wiedergegeben:
Galater 1, 4:
Neue-Welt-Übersetzung 1986: ...damit er uns befreie von dem gegenwärtigen bösen System der Dinge...
Schlachter 2000: ...damit er uns herausrette aus dem gegenwärtigen bösen Weltlauf...
Das jüdische Neue Testament, David H. Stern 2003: ...damit er uns aus dem gegenwärtigen bösen Weltsystem erlöse...
Römer 12, 2:
Neue-Welt-Übersetzung 1986: Und formt euch nicht mehr nach diesem System der Dinge...
Die Bibel, Hermann Menge 1939: Gestaltet eure Lebensführung nicht nach der Weise dieser Weltzeit...
Zürcher Bibel 2007: Fügt euch nicht ins Schema dieser Welt...
In beiden Versen ist klar, dass nicht einfach nur die "Welt" mit ihren Wiesen, Blumen und Bäumen gemeint ist. Das, wovon Christen befreit werden möchten, sind die gegenwärtigen Weltzustände (Galater 1, 4)! Das, wovon sich Christen nicht prägen lassen möchten, sind die Eigenschaften dieses Weltsystems (Römer 12, 1). Interessanter Weise gebrauchen manche Bibelschreiber das Wort "aion" zusammen mit dem Wort "kosmos":
Epheser 2, 2:
Die Heilige Schrift, Hermann Menge 1939: in denen ihr einst wandeltet, abhängig vom Zeitgeist (griechisch: aion) dieser Welt (griechisch: kosmos)...
King James Version 2000: In which in time past you walked according to the course (griechisch: aion) of this world (griechisch kosmos)...
Herder Bibel 2005: in denen ihr früher gelebt habt nach der Weise (griechisch: aion) dieser Welt (griechisch: kosmos)...
Hier ist es völlig offensichtlich, dass "aion" nicht für die "Welt" gebraucht wird, da diese hier ja bereits als "kosmos" bezeichnet wird. Vielmehr steht "aion" hier für die Zustände und Merkmale eben dieser Welt. Wenn Hellmund nun bemängelt, dass es für "System" ein entsprechendes griechisches Wort gegeben hätte, dann ist das nur ein Scheinargument, denn auch wenn sich das deutsche Wort "System" von dem griechischen "systema" ableitet, sind die Bedeutungen der beiden Wörter heute alles andere als austauschbar. Und wie wir bereits gesehen haben, gibt es auch für die von Hellmund favourisierte "Welt" ein anderes griechisches Wort, nämlich "kosmos" (wie in Matthäus 13, 38-42, wo "kosmos" und "aion" ebenfalls nebeneinander gebraucht werden, ohne das Gleiche zu bezeichnen). Matthäus hat in Kapitel 28, Vers 20 stattdessen ein griechisches Wort gebraucht, welches auch für ein bestimmtes Zeitalter, die Zustände eines bestimmten Zeitabschnitts, oder das Weltsystem stehen kann. Dementsprechend übersetzen hier einige Übersetzer mit "Vollendung des Zeitalters" (Elberfelder 2006), "Ende der Weltzeit" (Schlachter 2000) oder "Abschluss dieses Zustandes" (Living Oracles NT 1826). Man muss Matthäus 28, 20 also keineswegs auf einen totalen Weltuntergang beziehen. Es steht Dr. Hellmund natürlich frei,auch diesen Übersetzern "ein lehrmäßiges Interesse daran" zu attestieren, im NT nichts vom "Ende der Welt" zu lesen.
Dr. Hellmund, Seite 22-23:
Jedem Übersetzer, jedem Übersetzerteam sei zugestanden, dass man an gewissen Stellen der Bibel nicht umhin kann, nach eigenem Bibelverständnis und eigenem Glaubensurteil zu übersetzen. Ein Beispiel: Luk 23,43 übersetzt die NWÜ: „Wahrlich, ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradies sein.“ Aus dem dogmatisch entgegengesetzten Grund kann jemand genauso richtig das „heute“ in den Nachsatz ziehen: „... du wirst heute mit mir im Paradiese sein“. Vom biblischen Wortlaut her ist beides möglich und erlaubt. Von der Logik her aber ist in der ZJ-Übersetzung das „heute“ überflüssig. Ich sage ja auch nicht: Heute sage ich dir: „Guten Morgen!“.
(Zitat-Ende)
Es war bei den Juden nicht ungewöhnlich, die gemachte Aussage zu bekräftigen, indem man den Zeitpunkt der Aussage betonte:
5. Mose 30, 18 (Schlachter 2000): so verkünde ich euch heute, daß ihr gewiß umkommen und nicht lange leben werdet...
1. Könige 1, 51 (Schlachter 2000): ...er hält sich an den Hörnern des Altars und spricht: »Der König Salomo schwöre mir heute, daß er seinen Knecht nicht mit dem Schwert töten wolle!«
1. Samuel 12, 5 (Schlachter 2000): Er sprach: Der Herr ist Zeuge gegen euch, und sein Gesalbter ist Zeuge am heutigen Tag, daß ihr gar nichts in meiner Hand gefunden habt...
Sacharja 9, 12 (Schlachter 2000): Kehrt wieder zur Festung zurück, ihr, die ihr auf Hoffnung gefangen liegt! Schon heute verkündige ich, daß ich dir zweifachen Ersatz geben will!
Apostelgeschichte 20, 26-27 (Schlachter 2000): Darum bezeuge ich euch am heutigen Tag, daß ich rein bin von aller Blut...
Das „heute“ in der NWÜ-Version von Lukas 23, 43 ist nicht "überflüssiger", als in den oben zitierten Versen. Wenn „vom biblischen Wortlaut her“ beide Versionen „möglich und erlaubt“ sind, dann wüsste ich demnach beim besten Willen nicht, was nun tatsächlich gegen diese Wiedergabe sprechen sollte.
Dr. Hellmund, Seite 24:
Geradezu peinlich wirkt die Eintragung von Ausdrücken, die dem internen Jargon der „theokratischen Organisation“ entstammen: Da ist im NT-Teil der NWÜ plötzlich von „Versammlung“ die Rede statt von Gemeinde: Jesus wird als „Unterweiser“ angeredet (z.B. Luk 5,5; 9,33; 9,49). Und natürlich lehrten die Apostel – laut NWÜ – „öffentlich und von Haus zu Haus“ statt „öffentlich und in (Privat-)Häusern“.
(Zitat-Ende)
Wie sind die ZJ denn auf die Idee gekommen, von der „Versammlung“ zu sprechen? Sicherlich, weil sie diesen Ausdruck (schon lange vor der NWÜ) aus wortgetreuen Bibelübersetzungen wie der Elberfelder Bibel, oder Young's Literal Translation kannten. Zu unterstellen, dass man erst von der „Versammlung“ sprach, und danach verzweifelt bemüht war, diesen Ausdruck in die Übersetzung der Bibel hineinzupressen ist völlig absurd! „Versammlung“ ist gegenüber „Gemeinde“ und „Kirche“ die wörtlichere Übersetzung von ἐκκλησία. Zum Ausdruck „Unterweiser“ wüsste ich gerne, inwiefern er ZJ-spezifisch sein soll. Es gibt zahlreiche kirchliche Werke, in denen Jesus als „Unterweiser“ der Christenheit bezeichnet wird. Als Wiedergabe von ἐπιστάτης ist der Ausdruck völlig legitim (Liddell & Scott nennen als mögliche Bedeutung u. a. „supervisor of training“). Auch die Übersetzungen von Apostelgeschichte 5, 42 und 20, 20 („von Haus zu Haus“) sind keine Erfindungen der Wachtturmgesellschaft:
Erwin Preuschen, "Griechisch-deutsches Taschenwörterbuch zum Neuen Testament", 6. verbesserte Auflage (1976), Seite 100:
κατά Präp. [...] II mit Akk.: (1) durch .. hin; in .. herum; in; κατ' πόλιν von Stadt zu Stadt; κατ' Οίκον von Haus zu Haus
(Zitat-Ende)
Ein Großteil aller englischen Bibelübersetzungen übersetzt hier ebenfalls „from house to house“! Auch im Deutschen könnte man auf verschiedene katholische und protestantische Übersetzungen verweisen:
Apostelgeschichte 5, 42
Das Neue Testament, Karl von der Heydt 1852: Und den ganzen Tag in dem Tempel und Haus für Haus hörten sie nicht auf zu lehren...
Das Neue Testament, Herbert Jantzen 2007: Jeden Tag, in der Tempelstätte und von Haus zu Haus, hörten sie nicht auf, zu lehren...
Das Neue Testament, Hans Bruns 1957: Keinen Tag aber hörten sie auf, im Tempel und von Haus zu Haus zu lehren...
Luther 1545: und höreten nicht auf alle Tage im Tempel und hin und her in Häusern zu lehren...
Zürcher Bibel 1931: Und sie hörten nicht auf, jeden Tag im Tempel und Haus für Haus zu lehren...
Das Neue Testament, Fridolin Stier 1989: Und keinen Tag hörten sie auf, im Heiligtum oder von Haus zu Haus zu lehren...
Jedermanns-Bibel 1930: Und auch in der Folgezeit hörten sie nicht auf, alle Tage im Heiligtum und Haus für Haus zu lehren...
Apostelgeschichte 20, 20-21:
Das Neue Testament, Johann Albrecht Bengel 1753: wie ich nichts verhalten habe von dem, was zuträglich ist, daß ich euch nicht verkündiget hätte, und euch gelehret, öffentlich und von einem Hause zum anderen...
Die Heilige Schrift des Neuen Testamentes, Heinrich Braun 1786: Wie ich euch nichts verheelet habe, was nützlich ist, und das öffentlich sowohl, als von Hause zu Hause bekannt gemacht...
Grünewald Bibel 1924: Ich habe nichts versäumt und habe euch alles verkündigt und gelehrt, was euch zuträglich sein könnte, öffentlich, wie auch von Haus zu Haus...
Das Jüdische Neue Testament, David H. Stern 1994: Ihr wißt, daß ich nichts zurückhielt, das euch helfen konnte, und daß ich euch öffentlich und von Haus zu Haus lehrte...
Das Neue Testament, P. Konstantin Rösch 1921: Nichts was euch nützlich sein könnte, habe ich euch vorenthalten, sondern ich habe euch alles vekündigt und gelehrt, öffentlich und von Haus zu Haus...
Zürcher Bibel 2007: ihr wisst, dass ich euch nichts vorenthalten habe von dem, was heilsam ist, vielmehr euch alles verkündigt und gelehrt habe, öffentlich und von Haus zu Haus...
Das Neue Testament, Fridolin Stier 1989: wie ich nichts von dem, was zu Nutz und Frommen ist, zurückgehalten und euch nicht kundgetan und gelehrt hätte, vor den Augen des Volkes und von Haus zu Haus...
Der Übersetzer Manfred Roth schreibt in einer Fußnote zu Apostelgeschichte 20, 20:
kat oikous: nicht "in den Häusern", sondern eher verteilt auf die Häuser bzw. von Haus zu Haus
(siehe Das Neue Testament, Manfred Roth 2009)
Man könnte hier wieder fragen: Was war zuerst da? Sind die ZJ zuerst von Haus zu Haus gegangen und haben danach versucht diese Vorgehensweise im Text der Bibel unterzubringen, oder haben sie zuerst (lange vor der NWÜ) in anderen Übersetzungen vom „Haus zu Haus“-Predigen der Apostel gelesen und deshalb damit angefangen? Die erste Annahme ist völliger Unsinn. Wie auch immer, die Übersetzung „von Haus zu Haus“ ist sprachlich korrekt. Von einem „internen Jargon“ kann hier überhaupt keine Rede sein.
Natürlich kann man den griechischen Ausdruck auch mit „in den Häusern“ übersetzen, nämlich dann, wenn man nicht von einer distributiven Verwendung ausgeht. Es macht Sinn den Kontext zu beachten.
Dr. Hellmund, Seite 24:
Eine Kuriosität leisteten sich die Schöpfer der NWÜ im Zusammenhang mit dem Engelbesuch im Hause der Maria. Die Worte Gabriels „sei gegrüßt, du Begnadete“, klangen für sie wohl „zu katholisch“. Also lautet Luk 1,28 in der NWÜ: „Guten Tag, du Hochbegünstigte“. Von „Guten Tag“ aber steht nichts im Grundtext des NT, abgesehen davon, dass der Engelbesuch zu einer ganz anderen Tages- oder Nachtzeit erfolgt sein könnte. Zu dem heute gängigen „Guten Tag“ passt übrigens schon der nächste Satz nicht mehr, wonach Maria erschrak und dachte, „Welch ein Gruß ist das?“
(Zitat-Ende)
Auch hier möchte ich auf diverse Wörterbücher zur griechischen Sprache verweisen:
Gustav Eduard Benseler, "Griechisch-deutsches und deutsch-griechisches Schulwörterbuch - Band 2 " (1866), Seite 323
guten Morgen (Tag)! Χαῖρε
(Zitat-Ende)
Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament (1958), Spalte 1728
Χαῖρε, Χαίρετε sei gegrüßt! seid gegrüßt! guten Tag! Heil dir (euch)! Mt 26, 49. 27, 29. 28, 9
(Zitat-Ende)
Karl Schenkl, Deutsch-Griechisches Schul-Wörterbuch, Band 2 (2. Auflage 1873), Seite 363
- guten Morgen! Guten Tag! Χαῖρε.
(Zitat-Ende)
Das Maria (laut Vers 29) über diesen Gruß erschrak, kann wohl kaum gegen die Übersetzung „Guten Tag“ sprechen. Oder ist „Sei gegrüßt“ in irgendeiner Form furchteinflößender als „Guten Tag“? Beunruhigend war für Maria wohl eher, dass der Engel sie in seinen Grußworten mit „Hochbegnadete“ (oder „Hochbegünstigte“?) ansprach. Ich erkenne nicht, inwiefern hier eine „Kuriosität“ vorliegen soll. Wie auch immer, in der revidierten New-World-Translation (2013) ist dieser Vers offensichtlich überarbeitet worden: „Greetings, you highly favored one...“!
Dies waren nur einige Auszüge aus Hellmunds kritischen Ausführungen. Die Art wie er seine Kritikpunkte darlegt, zeigt deutlich, dass er ein bestimmtes Bild vermitteln möchte. Damit dieses Bild zu Stande kommt, stellt er bestimmte Behauptungen auf, welche der unkritische Leser als richtig voraussetzt, schließlich ist Hellmund ein studierter Theologe. Für denjenigen, der Hellmunds Ausführungen hinterfragt und überprüft ergibt sich möglicher Weise ein anderes Bild, nämlich davon, wie gründlich, oder wie aufrichtig Dr. Hellmund vorgegangen ist. Andere Behauptungen Hellmunds, z.B. die, dass die New-World-Translation gar nicht aus den ursprünglichen Sprachen übersetzt worden sei, wurde bereits von anderen Schreibern kritisch diskutiert, nämlich HIER!
Wie immer gilt meine Kritik nicht dem Autor persönlich, sondern seiner Arbeitsweise. Wer sachliche Kritik an meiner Arbeitsweise äußern möchte, darf das ebenfalls gerne tun.
Gane MacShowan
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