
Der im Markusevangelium omnipräsente "Sohn des Menschen" und "Sohn Gottes" stellt fest, dass er der Herr des Sabbats ist, indem er sagt:
"Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen." (Elberfelder, Mk 2,27)
Dieser Ausspruch bleibt nicht ohne Grund dem Hörer und Leser gut im Gedächnis. Die nur wenigen Worte, die strukturiert - ja fast schon rhythmisch - aneinander gereiht sind, prägen sich ein wie eine Melodie. Im griechischen Original erscheint dieser kurze, eindringliche Chiasmus noch deutlicher:
A το σαββατον (Der Sabbat)
B δια τονανθρωπον (wegen des Menschen)
X εγενετο (geworden ist)
B' ουχ ο ανθρωπος δια (und nicht des Menschen wegen)
A' το σαββατον (der Sabbat)
Die drei Schlüsselworte lauten hier: Der Sabbat, der Mensch und das "Werden".
1. Der Sabbat
Nicht nur der Artikel το macht klar, dass es sich hier um den Sabbat aus 2. Mose 20,8-11 handelt, sondern auch der literarische Kontext. Dem Autor geht es in seiner Erzählung nicht um ein allgemeines Sabbatprinzip (Siebener Zyklus), sondern um einen ganz spezifischen und konkreten Tag.
2. Der Mensch
Das fehlen des Artikels und die Einzahl des Wortes τονανθρωπον zeigen an, dass es hier nun - im Gegensatz zum το σαββατον (der Sabbat) - um etwas Allgemeines und Prinzipielles geht: Die Menschheit, und zwar unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Stellung. Der Mensch in seiner ganzen Vielfalt wird angesprochen.
3. Das "Werden"
Im griechischen εγενετο (egeneto) können leicht die Worte "Gen", "Genesis" und "generieren" entdeckt werden. Die Septuaginta verwendet dieses Wort um das Schöpfungshandeln Gottes zu beschreiben: "Es werde (γενηθήτω / genēthētō) Licht! Und es ward (ἐγένετο / egeneto) Licht.". Was schon das Sabbatgebot in 2. Mose 20, 11 eindrucksvoll deutlich macht, wird wiederholt durch dem Aorist εγενετο: Der Sabbat ist Schöpfung.
Das erstaunliche an diesem Chiasmus ist das - auf den ersten Blick - ambivalente Verhältnis zwischen Satzstruktur und Kernaussage:
1. Die Satzstruktur des Verses macht das "Werden", d.h. die Schöpfung des Sabbats, zum Mittelpunkt.
2. Die Kernaussage des Verses ist, dass der Mensch in den Mittelpunkt des Sabbats gerückt werden soll.
Steht dieser Chiasmus als Stilfigur im Widerspruch zum sinngemäßen Inhalt? Schöpfung oder Mensch - worauf liegt der Fokus?
Ich denke, der Schlüssel zum richtigen Verständnis liegt im Sabbatgebot, auf welches in Markus 2,27 mit nur wenigen Worten sehr deutlich hingewiesen wird.
A. Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten. (Ziel des Gebotes: Gedenken um zu Heiligen durch den Menschen.)
B. Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für den HERRN, deinen Gott. (Voraussetzung: Teilung der Woche in 6 Tage Arbeit und 1 Tag für Gott. Perspektive: Mensch)
X. Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd und dein Vieh und der Fremde bei dir, der innerhalb deiner Tore wohnt. (Praktische Konsequenz: Arbeitsruhe am Sabbat für jeden persönlich und für die man verantwortlich ist. Perspektive: Mensch und Umgebung)
B'. Denn in sechs Tagen hat der HERR den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebten Tag; (Begründung für (B): Teilung der Woche: 6 Tage Schöpfung und 1 Tag Ruhe. Perspektive: Gott)
A'. darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn. (Begründung für (A): Segnung und Heiligung durch Gott.)
Das Sabbatgebot selbst stellt den Menschen strukturell gesehen selbst in den Mittelpunkt. Die Gültigkeit des Sabbats geht auch hier über den eigenen Horizont hinaus, indem die Fremdinge mit einbezogen werden. Das der Sabbat nicht nur für den Israeliten, sondern auch für den Menschen ist, wird dadurch deutlich. Letztendlich offenbart auch hier der Hinweis auf die Schöpfungswoche, dass es am Sabbat um den Menschen geht in seiner ursprünglichen, schöpfungsgemäßen Gesamtheit.
Im Sabbatgebot wird noch ein weiterer wichtiger Aspekt deutlich: Das Unterlassen der Arbeit hat den Zweck, dass das Gedenken des Sabbattages um ihn heilig zu halten in Ruhe geschehen kann. Die Arbeitsruhe führt nicht automatisch zum Gedenken und der damit verbundenen Heiligung des Sabbattages. Sie bildet lediglich das gesunde Fundament, welches den Menschen befähigt seine Gedanken von der Arbeit auf etwas anderes zu richten. Geregelt mögen die grundlegenden, äußeren Handlungen im Gebot sein, die Ausrichtung des Herzens obliegt jedem Sabbathalter jedoch selbst, denn "Denn der HERR sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, aber der HERR sieht auf das Herz." (1. Samuel 16,7).
Die Ambivalenz in Markus 2,27 zwischen Satzstruktur (Mittelpunkt: Schöpfung) und sinngemäßen Inhalt (Mittelpunkt: Mensch) wird durch das Sabbatgebot aufgelöst, indem der Mensch durch die Heiligung des Sabbats profitiert, weil er Teilhaber des verheißenen Segens wird. Der Sabbat richtet sich an die Menschheit, denn Gott möchte die Menschheit durch den Sabbat segnen. Die Schöpfung - das ist in Markus 2,27 konkret der Sabbat - wird das Instrument Gottes, welches den Menschen in den Mittelpunkt seines Handelns stellt.
"Somit ist der Sohn des Menschen Herr auch des Sabbats", denn er ist es, der ihn für uns zum Segen werden lassen hat.
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