Beim gemeinsamen Bibellesen im Hauskreis ist mir folgender, vermeintliche Widerspruch aufgefallen:
(Offb. 2,9) Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich [...]
"Du aber bist reich" - trotz Armut, trotz Bedrängnis. Diese Ermutigung und diesen Trost hat nur jemand nötig, der seinen Reichtum nicht erkennt. Der Engel möchte auf den eigenen Reichtum aufmerksam machen um den Blick von der Bedrängnis und der Armut zulenken.
(Offb. 3,7) Weil du sagst: Ich bin reich und bin reich geworden und brauche nichts!, und nicht weißt, dass du der Elende und bemitleidenswert und arm und blind und bloß bist, [...]
"Du bist elend, bemitleidenswert, arm, blind und bloß" - obwohl man sich für reich hält. Diesen Tadel hat nur jemand nötig, der eine falsche Selbstwahrnehmung hegt und pflegt. Der Engel möchte auf die eigene Armut aufmerksam machen um den Blick vom eigenen, vermeintlichen Reichtum abzulenken.
Wende ich Offb. 2,9 auf mich an, dann erkenne ich die Forderung: Schaue nicht auf deine Armut, sondern auf deinen Reichtum. Tue ich dies, find ich trost.
Wende ich Offb. 3,7 auf mich an, dann erkenne ich die Forderung: Schaue nicht auf deinen Reichtum, sondern auf deine Armut. Tue ich dies, werde ich korrekturbedürftig.
Nun stehe ich vor den Fragen:
Wie soll ich als Christ einerseits meinen Reichtum erkennen und mich andererseits nicht von ihm täuschen lassen?
Wie soll ich als Christ einerseits meine Armut erkennen und mich andererseits nicht von ihr entmutigen lassen?
Ich denke, der Schlüssel zum Verständnis ist, dass der Reichtum - den wir uns bewusst machen sollen - von Gott kommt. Die Armut aber - der wir uns ebenso bewusst sein sollen - ist unsere eigene, menschliche Armut. Nur so kann ich diesen Widerspruch auflösen.
Blaise Pascal brachte es einmal treffend auf den Punkt:
"Wenn der Mensch Gott erkennt, ohne sein Elend zu erkennen, verfällt er dem Stolz. Erkennt er sein Elend, ohne Gott zu erkennen, verfällt er der Verzweiflung. Durch die Erkenntnis Jesu Christi stehen wir in der Mitte, denn darin finden wir sowohl Gott wie auch unser Elend."
Mit meinen eigenen Wort: Gottes Reichtum ohne Bewusstseins der eigenen Armut macht Stolz. Die eigene Armut ohne Gottes Reichtum lässt verzweifeln. Christus in der Mitte macht korrekturbedürfig und - fähig.
Verlieren wir also nicht das Bewusstsein für unseren Reichtum, der von Gott kommt - dann nur so können wir positiv auf den Nächsten wirken. Verlieren wir aber auch nicht das Bewusstsein für die eigene, menschliche Armut - sonst werden wir stolz und träge.