Sicheres Herkunftsland? : Afghanistan: Grüner Druck auf Kretschmann - heute-Nachrichten
Julia Broska, Afghanistan-Programmkoordinatorin der Welthungerhilfe:
"Ich kann nur zu gut verstehen, dass viele Afghanen tagtäglich um ihr Leben fürchten, und aus meiner Sicht kann Afghanistan in keinster Weise als sicheres Herkunftsland bezeichnet werden. In Deutschland hat man keine Vorstellung davon, wie viele Anschläge hier täglich geschehen landesweit, denn darüber wird in der deutschen Presse selten berichtet. 2016 war nach UN-Angaben das Jahr mit den meisten zivilen Opfern seit Ende des Kriegs, weit über 10.000. Und es ist so unabsehbar, wo der nächste Anschlag geschieht, die nächste Entführung, die nächste Schießerei auf offener Straße, dass man sagen kann: Keiner ist sicher in Afghanistan.
Unter den gegebenen politischen Bedingungen ist in Afghanistan nur langsamer Fortschritt möglich, da zurzeit immer mehr Gebiete wieder in die Hände der Taliban fallen. Dies verursacht nach wie vor große Ströme von Binnenvertriebenen, die natürlich eine Belastung für die Wirtschaft und die sogenannten "host communities" darstellen. Dies macht es schwierig, im ländlichen Raum erhebliche Fortschritte zu erzielen, da ein Großteil der Hilfsgelder für Nothilfe aufgewendet werden muss, und nicht in langfristige, echte Entwicklungshilfe investiert werden kann. Die Welthungerhilfe versucht, mit langfristig angelegten Programmen dagegen zu steuern.
Die lokale Industrie konnte sich nur wenig weiter entwickeln. Seit 2014 ist die Arbeitslosigkeit wieder dramatisch gestiegen. Das Hauptproblem ist die Sicherheitslage. Diese wird seit mindestens 2014 immer schlechter. Man muss leider sagen: Keiner ist sicher in Afghanistan. Es ist daher verständlich, dass sich keine privaten Investoren finden. Wer Geld hat, schafft es ins Ausland, allein schon, um Überfällen und Kidnapping Vorschub zu leisten. Geschäftsmänner und ihre Familien leben in Afghanistan höchst gefährlich. Positive Entwicklungen im Wirtschaftsbereich gibt es wenige. Allein die Tatsache, dass sicherer Überland-Transport praktisch unmöglich ist, macht Wertschöpfungsketten schwierig. Oft müssen inoffizielle Wegzölle gezahlt werden an bewaffnete Oppositionsgruppen, die sich aufaddieren und so jedem Geschäft das Genick brechen."