Johannes 20,17: Rühre mich nicht an!

    • Offizieller Beitrag

    Hallo zusammen,

    in unserer letztsabbatlichen Predigt wurde unter anderem der bekannte Bibeltext angesprochen in dem Maria Magdalena auf den auferstandenen Jesus trifft. Er sagt ihr, die sie ihm wahrscheinlich um den Hals fallen will: Rühre micht nicht an!

    Joh 20/11 Maria aber stand draußen bei der Gruft und weinte. Als sie nun weinte, bückte sie sich vornüber in die Gruft 20/12 und sieht zwei Engel in weißen [Kleidern] dasitzen, einen bei dem Haupt und einen bei den Füßen, wo der Leib Jesu gelegen hatte. 20/13 Und jene sagen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Weil sie meinen Herrn weggenommen und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben. 20/14 Als sie dies gesagt hatte, wandte sie sich zurück und sieht Jesus dastehen; und sie wußte nicht, daß es Jesus war. 20/15 Jesus spricht zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie, in der Meinung, es sei der Gärtner, spricht zu ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich werde ihn wegholen. 20/16 Jesus spricht zu ihr: Maria! Sie wendet sich um und spricht zu ihm auf hebräisch: Rabbuni! das heißt Lehrer. 20/17 Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott. 20/18 Maria Magdalena kommt und verkündet den Jüngern, daß sie den Herrn gesehen und er dies zu ihr gesagt habe.

    Ich habe in der Predigt eine für mich vollkommen neue Deutung des Textes gehört, möchte aber vorab ins Forum fragen: Was wäre das Problem gewesen, wenn Jesus von Maria Magdala angerührt worden wäre? Seine Begründung: "denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater." ist von der Erklärung her unvollständig (als Begründung natürlich ok, aber nicht erklärt!). Der ungläubige Thomas durfte nach Jesu Auferstehung und Auffahrt zum Vater ja auch in Jesu Wundmale greifen. Was ist also das Problem VOR der Auffahrt Jesu?

    viele Grüße

    Tricky

  • Hallo Tricky!

    Ich verstehe diese Worte so, wie die nachfolgenden Übersetzer sie wiedergeben:

    Das Neue Testament, Ludwig Albrecht 1926
    Jesus sprach zu ihr: "Klammere dich nicht an mich! Denn ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: ’Ich fahre auf zu meinem Vater und zu euerm Vater, zu meinem Gott und zu euerm Gott.’"

    Einheitsübersetzung 1980
    Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte.

    Neue Welt Übersetzung 1986
    Jesus sprach zu ihr: „Hör auf, dich an mich zu klammern. Denn ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren. Geh jedoch zu meinen Brüdern hin, und sag ihnen: ‚Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott.‘ “

    Gute Nachricht 2000
    Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater zurückgekehrt. Aber geh zu meinen Brüdern und sag ihnen von mir: ›Ich kehre zurück zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.‹«

    (Fußnote zu "Halte mich nicht fest": Weniger wahrscheinlich ist die Übersetzung Berühre mich nicht! Vorausgesetzt ist vermutlich eine Begrüßungsgeste wie die in Mt 28,9.)

    Ich verstehe Jesu Worte so, dass es nicht nötig war, sich an ihn zu klammern (als würde er jeden Augenblick wieder verschwinden), da er ja noch nicht wieder in den Himmel zurückgekehrt war, und erst noch auf der Erde bleiben würde. Ich sehe hier keine Aussage mit einer tieferen theologischen Bedeutung...

    Gruß, GMacS

    Einmal editiert, zuletzt von Gane MacShowan (10. August 2015 um 11:51)

  • Die im vorigen Beittag aufgeführten Übersetzungsvarianten finde ich in einem meiner Bücher bestätigt. Darüber hinaus übersetzt auch die Neue Genfer Übersetzung:

    [bibel]Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater in den Himmel zurückgekehrt. [/bibel][quelle]Neue Genfer ÜBersetzung: Johannes 20, 17[/quelle]
    In der NGÜ wird angemerkt, die wörtliche Übersetzung sei: "Fass mich nicht (länger) an".

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

  • Zitat

    Der ungläubige Thomas durfte nach Jesu Auferstehung und Auffahrt zum
    Vater ja auch in Jesu Wundmale greifen. Was ist also das Problem VOR der
    Auffahrt Jesu?

    Thomas berührte die Wundmale nicht nach der Himmelfahrt, sondern davor; ein "danach" gibt es nicht. Er sollte die Wundmale tasten, weil er zweifelte.

    Maria sollte ihn nicht berühren, da er noch nicht aufgefahren war; wenn er aber aufgefahren ist, kann sie ihn nicht mehr berühren. Sie sollte ihn nicht berühren, weil sie glaubte.

    Der Zweifler braucht das Zeichen, der Glaubende glaubt es so. Unterschiedliche Menschen bzw. unterschiedliche Verfassungen, daher unterschiedliche Worte Jesu.

    • Offizieller Beitrag

    Ich verstehe Jesu Worte so, dass es nicht nötig war, sich an ihn zu klammern (als würde er jeden Augenblick wieder verschwinden), da er ja noch nicht wieder in den Himmel zurückgekehrt war, und erst noch auf der Erde bleiben würde. Ich sehe hier keine Aussage mit einer tieferen theologischen Bedeutung...

    Genau so habe ich die Erklärung auch von dem Prediger bekommen. Die Übersetzung mit "Rühr mich nicht an" klingt aus meiner Sicht hart und fast ein wenig schroff - nach unserem heutigen Empfinden! Weiters dachte ich bisher, dass es noch einen tieferen Sinn darin gibt, dass Jesus zuerst zum Vater auffahren muss. Welchen genau? Sich bestätigen lassen, dass das Opfer auch ausreichend war? Wenn dem so wäre, dann hätte er ja trotzdem Maria umarmen können.

    Das mit dem Klammern oder "Halt mich nicht auf" klingt für mich auch sehr logisch - trivial gedacht auch nachvollziehbar.

    • Offizieller Beitrag

    Thomas berührte die Wundmale nicht nach der Himmelfahrt, sondern davor; ein "danach" gibt es nicht. Er sollte die Wundmale tasten, weil er zweifelte.

    Vom Bibeltext ist das nicht so klar wie du es beschreibst:

    Joh. 20/17 (zweiter Teil) ... . Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott.

    Jesus spricht in der Gegenwartsform. Nicht: Ich werde auffahren sondern: ich fahre (ich füge ein jetzt hinzu) auf zu meinem Vater.


    Ich lese den Text so, dass Jesus sagt er sei gerade im Begriff zum Vater zu gehen. Er tut es dann und erscheint danach den Emaus Jüngern und den anderen Jüngern.

  • Die Schlussfolgerung von Seele1986 ist richtig; die Herleitung halte ich für falsch.

    Möglich wäre auch, dass Jesu Aussage etwas damit zutun hat, dass Maria von Magdala eine Frau war. Außer Zweifel steht, dass Jesus Jude war. Ich erinnere mich an einen Spielfilm, in dem gesagt wurde, dass ein Rabbiner im orthodixen Judentum nicht von einer schwangeren Frau berührt werden dürfe. Wenn ich mich nicht ganz falsch erinnere, durfen auch laut der Bibel jüdische Priester nicht von Frauen berührt werden, die gerade ihre Menstruation haben. Kann es nicht sein, dass der Ausspruch auch damit zutun hat?

    PS.: Meine Vermutung sehe ich nun nachträglich durch einen Kommentar zur in Frage stehenden Stelle bestätigt:

    Zitat

    Der Grund, warum Maria ihn nicht berühren sollte, ist der, dass Jesus in Begriff war, seinen Dienst als himmlischer Hohepriester anzutreten (s. Hebr. 9, 12). Als solcher durfte er, wie auch die irdischen Hohepriester, von niemandem berührt werden, damit er nicht unrein würde. Manche schlagen vor, das Verb haptomai, das hier im verneinten Imperativ Präsens steht, sei im Sinne von „halte mich nicht fest!“ zu verstehen, eine Bedeutung allerdings, die haptomai an keiner anderen Stelle im NT hat, das Wort bedeutet stets: berühren, anrühren, anfassen ..., „festhalten“ wäre krateo.

    Dazu paßt auch nahtlos, daßs diese Stelle laut einer Fußnote in der Neuen Genfer Übersetzung ganz wörtlich genommen mit "Fass mich nicht an" zu übersetzen wäre.

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

    7 Mal editiert, zuletzt von Daniels (10. August 2015 um 19:44)

  • Sie sollte ihn nicht berühren, weil sie glaubte.

    Der Zweifler braucht das Zeichen, der Glaubende glaubt es so. Unterschiedliche Menschen bzw. unterschiedliche Verfassungen, daher unterschiedliche Worte Jesu.


    Wenn vorausgesetzt wird, dass Miriam sowieso, wie Du schreibst und vorauszusetzen scheinst, "glaubte", dann spricht dies allein in keiner Weise dagegen, dass sie Jesus berührt, weil sie dadurch, egal, warum sie Jesus berühren wollte, ja keinswegs plötzlich ihren Glauben verlieren würde.

    Es gibt keinerlei Hinweis an dieser Stelle, dass Miriam Jesus anfassen wollte, um sich seiner zu vergewissern. Die natürlichste Vermutung scheint mir, dass sie ihn spontan berühren wollte, weil sie sich über sein Erscheinen freute. Eine Gleichsetzung ihrer Motivation mit der des Thomas, der dem auferstandenen Jesus begegnet sei und sich durch Berührung seiner Wundmale vergewissern wollte, dass Jesus auferstanden sei, ist Deine subjektive spekulative Assoziation. Wo steht auch nur ein einziges Wort, das auf einen Zweifel Miriams hinweist, nachdem sie Jesus erkannt zu haben meint?!

    Ich stimme Deinen beiden Schlusssätzen zu:

    Der Zweifler braucht das Zeichen, der Glaubende glaubt es so. Unterschiedliche Menschen bzw. unterschiedliche Verfassungen, daher unterschiedliche Worte Jesu.


    Aber ich sehe keinerlei mir nennenswert erscheinenden Zusammenhang mit der diskutierten Szene. Wenn Du als Schlusssatz geschrieben hättest, im Sommer sei es wärmer als im Winter, hätte ich Dir genauso weit zugestimmt.

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

  • Zitat

    dann spricht dies allein in keiner Weise dagegen, dass sie Jesus
    berührt, weil sie dadurch, egal, warum sie Jesus berühren wollte, ja
    keinswegs plötzlich ihren Glauben verlieren würde.

    Habe ich auch nirgendwo geschrieben.

    Zitat

    Es gibt keinerlei Hinweis an dieser Stelle, dass Miriam Jesus anfassen wollte, um sich seiner zu vergewissern.

    Habe ich auch nirgendwo geschrieben.

    Zitat

    Die natürlichste Vermutung scheint mir, dass sie ihn spontan berühren wollte, weil sie sich über sein Erscheinen freute.

    Wahrscheinlich.

    Zitat

    Eine Gleichsetzung ihrer Motivation mit der des Thomas, der dem
    auferstandenen Jesus begegnet sei und sich durch Berührung seiner
    Wundmale vergewissern wollte, dass Jesus auferstanden sei,

    Ich habe die Gleichsetzung nicht gemacht. Es sind zwei Beispieltexte, anhand derer eine Frage gestellt wurde. Beide Texte wollen (können) etwas aussagen. Es sind- das habe ich geschrieben- unterschiedliche Situationen, unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Worte Jesu.


    Zitat

    ist Deine subjektive spekulative Assoziation.

    Das ist es immer.


    Zitat

    Wo steht auch nur ein einziges Wort, das auf einen Zweifel Miriams hinweist, nachdem sie Jesus erkannt zu haben meint?!

    Habe ich nirgendwo geschrieben.

    Zitat

    Wenn Du als Schlusssatz geschrieben hättest, im Sommer sei es wärmer als im Winter, hätte ich Dir genauso weit zugestimmt.

    Das kommt auf die Halbkugel an, aber danke.

  • Meine Vermutung sehe ich nun nachträglich durch einen Kommentar zur in Frage stehenden Stelle bestätigt:

    Zitat


    Die Stelle mit Thomas ist ganz anders textiert - lassen wir sie beiseite.

    aptomai : Zum Beispiel in Matth . 9, 20 und 29. Aber auch in 1. Korinther 7, 1 mit einer speziellen Konnotation, welche auch mein Grechischwörterbuch - samt Beispielen nennt. Dazu kommt noch, dass das gegenständliche Zeitwort mit dem Genetiv steht, was eine gewisse Tendenz vorgibt.

    Nihil hic determino dictans : Conicio, conor, confero, tento, rogo, quero - -

    Leider kann ich nicht mit der alleinerziehenden Mutter aufwarten - -

  • aptomai : Zum Beispiel in Matth . 9, 20 und 29. Aber auch in 1. Korinther 7, 1


    Danke für den Hinweis! Da ich das nicht auswendig kenne, habe ich mir die Stellen rausgesucht. Das wären diese:

    Zitat

    [...] Jesus stand auf und folgte ihm mit seinen Jüngern. Und siehe, eine Frau, die seit zwölf Jahren den Blutfluss hatte, trat von hinten an ihn heran und berührte den Saum seines Gewandes. Denn sie sprach bei sich selbst: Könnte ich nur sein Gewand berühren, so würde ich gesund.

    [quelle]Matthäus 9, 19b-21 (nach Luther 1984)[/quelle]

    Zitat

    Und als Jesus von dort weiterging, folgten ihm zwei Blinde, die schrien: Ach, du Sohn Davids, erbarme dich unser! Und als er heimkam, traten die Blinden zu ihm. Und Jesus sprach zu ihnen: Glaubt ihr, dass ich das tun kann? Da sprachen sie zu ihm: Ja, Herr. Da berührte er ihre Augen und sprach: Euch geschehe nach eurem Glauben! Und ihre Augen wurden geöffnet.

    [quelle]Matthäus 9, 27-30 (nach Luther 1984)[/quelle]

    Zitat

    Wovon ihr aber geschrieben habt, darauf antworte ich: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. Aber um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann. Der Mann leiste der Frau, was er ihr schuldig ist, desgleichen die Frau dem Mann.

    [quelle]1. Korinter 7, 1-3 (nach Luther 1984)[/quelle]

    Zumindest an diesen Stellen paßt für "haptomai" kaum die Übersetzung "festhalten"; sondern viel eher "berühren", "anrühren", "anfassen" o.dgl.

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

    Einmal editiert, zuletzt von Daniels (13. August 2015 um 17:43)

  • [

    mindest an diesen Stellen paßt für "haptomai" kaum die Übersetzung "festhalten"; sondern viel eher "berühren", "anrühren", "anfassen" o.dgl.

    Eben. - Mit aller Vorsicht darf aber auch auf die in diesem Thread schon eingebtrachte quais methaphorische Bedeutung des kultischen "Berührens" und "Unberührtseins" gedacht werden.

    Nihil hic determino dictans : Conicio, conor, confero, tento, rogo, quero - -

    Leider kann ich nicht mit der alleinerziehenden Mutter aufwarten - -

  • Hallo Daniels!

    Meine Vermutung sehe ich nun nachträglich durch einen Kommentar zur in Frage stehenden Stelle bestätigt:

    Dazu paßt auch nahtlos, daßs diese Stelle laut einer Fußnote in der Neuen Genfer Übersetzung ganz wörtlich genommen mit "Fass mich nicht an" zu übersetzen wäre.

    Ich schätze Manfred Roths Übersetzung des NTs sehr, auch wegen der vielen Fußnoten. In diesem Falle teile ich seine Meinung aber nicht. Das möchte ich auch kurz begründen :cap::

    1.) Die Berührung einer Frau kann für den auferweckten Jesus nicht wirklich ein Problem dargestellt haben, denn laut Matthäus 28, 9 wurde er von mindestens zwei Frauen berührt - ohne Einspruch zu erheben!

    Matthäus 28, 8-10 (Luther 1984)
    Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

    Hätte Jesus nicht von Frauen berührt werden dürfen, weil er im Begriff stand, seine Tätigkeit als Hohepriester im Himmel aufzunehmen, so hätte das auch nicht wirklich zu der von Jesus genannten Begründung gepasst: "...denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater!"

    2.) Das Wort "haptomai" kann verschiedene Bedeutungen haben. Welche dieser Bedeutungen in Johannes 20, 17 zutrifft kann man wohl kaum davon ableiten, welche Bedeutungen dieses Wort an anderen Stellen in der Bibel hat. Entscheidend ist der jeweilige Kontext! Dass es für "festhalten" auch noch andere griechische Wörter gibt lässt sich nicht bestreiten, allerdings verwenden wir im Deutschen doch auch nicht immer die gleichen Wörter um eine Sache auszudrücken.

    3.) In den meisten Wörterbüchern werden an erster Stelle Bedeutungen wie "sich anhängen" oder "anknüpfen" genannt. Ein Beispiel:

    Franz Passow, "Handwörterbuch der Griechischen Sprache - Erster Band" (4. Auflage 1831), Seite 305-306
    ἅπτω, [...] Meist m. d. gen. sich woran heften, knüpfen, anhangen, festhalten, sich mit etwas befassen, Hand an etwas legen, etwas packen, anfassen, antasten, angreifen, berühren

    Man könnte auch noch auf Vine's Expository Dictionary of Old and New Testament Words verweisen. William E. Vine schreibt, dass "haptmai" in erster Linie "an etwas befestigen" (Original-Zitat: "primarily, to fasten to") bedeutet. Für Johannes 20, 17 nennt er die Bedeutunsmöglichkeiten "an etwas klammern" und "ergreifen" (Original-Zitat: "to cling to, lay hold of, John 20:17").

    4.) Die Fußnote in der Neuen Genfer Übersetzung bietet als wörtliche Übersetzung nicht "Fass mich nicht an", sondern "Fass mich nicht (länger) an"! Dass bezieht sich wohl darauf, dass "haptomai" im Präsens steht, und somit keine einmalige kurze Berührung, sondern eine länger anhaltende Berührung bezeichnet. Möglicherweise soll die Fußnote in der Neuen Genfer Übersetzung auch aussagen, dass "berühren" / "anfassen" der gemeinsame Nenner aller möglichen Bedeutungen von "haptomai" ist, weil alle Bedeutungen etwas mit "Berührung" zu tun haben!? Fakt ist, dass man sich für den Haupttext für die Wiedergabe "Lass mich los" entscheiden hat. Fakt ist auch, dass beide Übersetzungsmöglichkeiten gegeben sind. Welche der beiden Versionen die richtige ist, kann jeder für sich selbst entscheiden, indem er den Kontext beachtet...

    Gruß, GMacS

    PS. Auch der Philologe Walter Bauer (bekannt für sein "Wörterbuch zum Neuen Testament") übersetzt μή μου ἅπτου mit "lasse mich los"! :thumbup:

    2 Mal editiert, zuletzt von Gane MacShowan (15. August 2015 um 22:47)

  • Hallo Daniels!
    Ich schätze Manfred Roths Übersetzung des NTs sehr, auch wegen der vielen Fußnoten.

    Ich habe sie mir kurz nach Erscheinen vor allem wegen der Fußnoten gekauft, denn ich habe weder Theologie studiert noch Unterricht in Altgriechisch erhalten. (Obwohl ich schon als junger Mann den Wunsch hatte, vielleicht doch irgendwann Altgriechisch zu lernen, auch um zum Beispiel einmal ein Reclam-Heft von Schopenhauer vernünftig lesen zu können. Ohne Altgriechischkenntnisse ist man von bestimmter Lektüre abgeschnitten.)


    In diesem Falle teile ich seine Meinung aber nicht. Das möchte ich auch kurz begründen :cap::

    1.) [...] laut Matthäus 28, 9 wurde [Jesus] von mindestens zwei Frauen berührt - ohne Einspruch zu erheben!

    [...]

    Hätte Jesus nicht von Frauen berührt werden dürfen, weil er im Begriff stand, seine Tätigkeit als Hohepriester im Himmel aufzunehmen, so hätte das auch nicht wirklich zu der von Jesus genannten Begründung gepasst: "...denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater!"


    Das sind zwei plausible Einwände.


    2.) Das Wort "haptomai" kann verschiedene Bedeutungen haben. Welche dieser Bedeutungen in Johannes 20, 17 zutrifft kann man wohl kaum davon ableiten, welche Bedeutungen dieses Wort an anderen Stellen in der Bibel hat. Entscheidend ist der jeweilige Kontext! Dass es für "festhalten" auch noch andere griechische Wörter gibt lässt sich nicht bestreiten, allerdings verwenden wir im Deutschen doch auch nicht immer die gleichen Wörter um eine Sache auszudrücken.


    Der sonstige Gebrauch vor allem im selben Evangelium, kann nur, aber immerhin, ein Indiz sein. Grundsätzlich stimme ich Dir zu, weshalb ich kürzlich in einem anderen Thread geschrieben hatte:

    mich wundert, dass viele Bibelausleger oft davon ausgehen, ein bestimmtes Wort oder ein Begriff bedeute in der Bibel immer an jeder Stelle das selbe. In vielen längeren Texten, zumal in Anthologien, Sammlungen von Texten verschiedener Autoren -- so etwas ist die Bibel ja --, ist das nicht der Fall: Ein und dieselben Wörter haben je nach dem Textzusammenhang verschiedene Bedeutungen, sie kann sogar völlig gegensätzlich sein.


    4.) Die Fußnote in der Neuen Genfer Übersetzung bietet als wörtliche Übersetzung nicht "Fass mich nicht an", sondern "Fass mich nicht (länger) an"!

    Das stimmt. Ich bin davon ausgegangen, dass das Wörtchen "länger" eine Hinzufügung der Übersetzer ist, weil, soweit ich mich erinnere, in der Einleitung der NGÜ steht, dass Wörter, die zwar nicht wörtlich im Quelltext stehen, aber sinngemäß in einer deutschen Übersetzung dort stehen könnten oder sollten, in der NGÜ zwischen Klammern eingefügt seien.


    Fakt ist auch, dass beide Übersetzungsmöglichkeiten gegeben sind. Welche der beiden Versionen die richtige ist, kann jeder für sich selbst entscheiden, indem er den Kontext beachtet...


    Danke für Deine Hinweise sie scheinen mir wohlerwogen.

    Beste Grüße
    Daniels

    "Prüft alles und, was gut ist,
    das behaltet. Aber was böse ist,
    darauf lasst euch nicht ein..."

    1. Thessalonicher 5, 21.22

    "Wähle das Leben, damit du lebst."
    5. Mose 30, 19

    Einmal editiert, zuletzt von Daniels (16. August 2015 um 00:10)