Tunesiens Zukunft ungewiss

    • Offizieller Beitrag

    Tunesiens Zukunft ungewiss:
    Rettungsversuche für die Übergangsregierung


    In Tunesien überschlagen sich die Ereignisse. Interimspräsident Mebazza und Ministerpräsident Ghannouchi kündigten ihren Austritt aus der Partei RCD an. Damit wollen sie sich von der Ben-Ali-Partei distanzieren und die Übergangsregierung retten. Die Bevölkerung hofft auf Ruhe.


    Auf einmal wird auf den Straßen von Tunis gestritten - und wie. Eine Universitätsdozentin kann sich nicht mehr beherrschen: "Wer weiß denn, wer all die Menschen umgebracht hat, die friedlich demonstriert haben? Tunesien muss jetzt allein auf die Beine kommen!" Es ist für sie ein Skandal, dass auch die Oppositionspartei Ettajdid sich der Übergangsregierung angeschlossen hat und so mit alten Ben-Ali-Kadern zusammenarbeitet. "Aber dann droht uns doch das Chaos", antwortet ein Mann - und weiter: "Sie sind doch eine Kommunistin, geben Sie’s zu!"
    Zwei Stockwerke höher, in der Zentrale der linken Oppositionspartei Ettajdid, schließt Parteiführer Jouneidi Abdeljawad die Tür zum Konferenzraum. Es ist hier nicht leicht, einen ruhigen Ort zu finden. Denn überall wird lautstark diskutiert, telefoniert, argumentiert. Und dann ist da noch der Lärm der Hubschrauber, die permanent über der Stadt kreisen.

    "Wir haben es uns mit der Entscheidung nicht leicht gemacht", sagt Ettajdid. "Aber angesichts der ernsten Situation in unserem Land, der Gefahren, die seiner Zukunft drohen, haben wir uns dafür entschlossen, unsere Verantwortung wahrzunehmen und eine Übergangsregierung zu schaffen, die eine echte politische Reform, demokratische Wahlen vorbereitet."

    Das hatten die Führer der mächtigen Gewerkschaft UGTT zunächst auch so gesehen. Aber dann gab es eine große Demonstration vor der Gewerkschaftszentrale. Hunderte forderten den Rückzug aus der Übergangsregierung. Sie riefen die Organisation auf, sich nicht mit den ehemaligen Ben-Ali-Anhängern einzulassen, auf einen radikalen Neuanfang zu setzen.

    http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/ghannouchi100_v-mittel16x9.jpg</a> Trat aus der RCD-Partei aus: Tunesiens Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi. ]

    Mit Erfolg: Die Gewerkschaft zog ihre drei Minister wieder ab. Die Konsequenz: Einen Tag nach ihrer Gründung wackelt die Übergangsregierung schon. Sicher auch deshalb sind der tunesische Präsident und der Ministerpräsident am Abend aus der alten Ben-Ali-Partei RCD ausgetreten.
    Jürgen Teres, Maghreb-Beauftragter der Hanns-Seidl-Stiftung, denkt nicht, dass die Parteiaustritte viel bewirken werden: "Ich glaube, man muss es den Wählern überlassen, inwieweit die Politiker glaubhaft machen können, dass sie an dem alten, diktatorischen Regime nicht entscheidend beteiligt waren, integer geblieben sind. Es geht jetzt nur darum: Wie organisieren wir den Übergang?"
    "Wir sind geduldig"

    Viele Tunesier wollen nur eins: Dass dieser Übergang einigermaßen geordnet abläuft, dass das Land zu Ruhe und Ordnung zurückfindet. Das geschieht, wenn auch langsam.
    Immer mehr Geschäfte in Tunis machen wieder auf, das Leben kehrt auf die Straßen zurück. Auch wenn die Schlangen vor den Bäckereien noch lang sind. Nebil steht hier in der Großmarkthalle schon lange an - aber was soll’s, sagt er: "Wenn es kein Brot mehr gibt, ist das doch nicht schlimm. Dann essen wir halt etwas anderes. Jahrelang wurden wir von Ben Ali mit allem Möglichen abgespeist, gefüttert, gekauft. Nun ist das anders. Wir sind nicht für Brot auf die Straße gegangen, sondern für die Freiheit. Wir sind geduldig."

    http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/tunesien274_v-grossfrei16x9.jpg</a>


    Von Marc Dugge, ARD-Hörfunkstudio Westafrika
    tagesschau.de

    Einmal editiert, zuletzt von sanfterengel (29. März 2011 um 13:11)