Jesus, der Tempel als Person
Johannes schildert am Anfang seines Evangeliums, warum und wie Jesus in diese Welt kam. Am Ende seiner Ausführungen lesen wir: Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns; und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater (Joh. 1,14).
In diesem Vers sind zwei Punkte enthalten, die für unsere Frage aufschlussreich sind. In den meisten Übersetzungen steht hier das Wort wohnte. Ganz wörtlich steht hier zeltete. Man kann sogar übersetzen stiftshüttete. Johannes spielt in diesem Vers auf den Tempel bzw. die Stiftshütte im Alten Testament an. Gott will weiterhin Gemeinschaft mit den Menschen haben. Diese Gemeinschaft erfolgt in der Person seines eigenen Sohnes Jesus Christus.
Ferner lässt uns der Verweis auf die Herrlichkeit aufmerken. Gott hatte einst den Tempel mit seiner Herrlichkeitswolke verlassen (Hes. 10-11). Jetzt kommt die Herrlichkeit zurück. Ein Kapitel später sprach Jesus selbst darüber, dass er der neue Tempel ist: Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: In 46 Jahren ist dieser Tempel erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber sprach vom Tempel seines Leibes (Joh. 2,19-21).
Mit dieser Aussage wies Jesus auf seinen Tod am Kreuz. Man muss sich einmal die Provokation für die Juden vorstellen. Der Tempel wurde gerade verschönert und war auf dem besten Weg, sogar noch prachtvoller auszusehen als der Tempel Salomos. Plötzlich trat Jesus auf und verkündete: Reißt ihn ab, ich richte ihn in drei Tagen wieder auf.
Gehen wir im Johannes-Evangelium zwei Kapitel weiter. Jesus war im Gespräch mit der samaritischen Frau am Jakobsbrunnen. Die Samariter hatten eine Mischreligion aus Judentum und heidnischen Elementen. Sie besaßen auch einen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim, ganz in der Nähe des Ortes, an dem Jesus und die Frau zusammengetroffen waren.
Es waren zwei scheinbar ähnliche Religionen, zumal beide jeweils einen Tempel hatten. Dieser Umstand führte dazu, dass die Frau mit Jesus in ein Gespräch kam. Sie fragte: Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei der Ort, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Frau, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt aus den Juden. Aber die Stunde kommt und ist schon da, dass die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden; denn der Vater sucht solche Anbeter. Gott ist Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten (Joh. 4,20-24).
Mit anderen Worten sagt Jesus hier: Der Tempel in Jerusalem ist zwar der wahre Tempel, aber auch dieser wird demnächst abgeschafft werden. Es geht dann nicht mehr darum, in Jerusalem anzubeten, sondern im Geist und in der Wahrheit.
Wieder einige Zeit später war Jesus mit drei seiner Jünger unterwegs auf einem hohen Berg, dem sogenannten Berg der Verklärung. Dort erlebten diese Jünger einiges: Mose und Elia erschienen, und das Angesicht von Jesus strahlte hell. Außerdem lesen wir folgendes: Da kam eine Wolke, die überschattete sie, und aus der Wolke kam eine Stimme, die sprach: Dies ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören! (Mk. 9,7).
Zum ersten Mal, seitdem die Wolke den Tempel verlassen hatte (Hes. 10-11), lesen wir erneut von ihr. Gott kommt in Jesus Christus sichtbar zurück, um unter den Menschen in seiner Herrlichkeit zu wohnen.
Jetzt verstehen wir vermutlich besser, warum Johannes in Johannes 1 so stark betont, dass Jesus herrlich ist: weil Gott in Jesus jetzt wieder in seiner Herrlichkeit unter seinem Volk wohnte. Das symbolisiert die Wolke. Aber Gott ist mit der Wolke nicht in das Allerheiligste des Tempels gekommen, sondern in eine Person, in seinen Sohn Jesus Christus.
Erinnern wir uns an die Prophezeiung aus Haggai 2,9: Die letzte Herrlichkeit dieses Hauses wird größer sein als die erste, spricht der Herr der Heerscharen; und an diesem Ort will ich Frieden geben, spricht der Herr der Heerscharen. Mit Jesus sind der Frieden und die Herrlichkeit in diese Welt gekommen.
Kurz vor seinem Tod griff Jesus erneut den Faden der Zerstörung des steinernen Tempels auf. Gleich am Anfang seiner Ölbergrede lesen wir: Und Jesus trat hinaus und ging vom Tempel hinweg. Und seine Jünger kamen herzu, um ihm die Gebäude des Tempels zu zeigen. Jesus aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht dies alles? Wahrlich, ich sage euch: Hier wird kein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht abgebrochen wird! (Mt. 24,1.2).
Was Jesus hier ankündigte, ereignete sich ungefähr 40 Jahre später. Nach einem jüdischen Aufstand zerstörten die Römer in einem grausamen Feldzug Jerusalem sowie den zweiten steinernen Tempel. Er wurde danach nie wieder aufgebaut.
Einige Tage nach der Ölbergrede wurde Jesus ans Kreuz genagelt. In dem Moment, als Jesus den Geist aufgab, zerriss der Vorhang im Tempel, der das Heiligste vom Allerheiligsten trennte. Der steinerne Tempel war überflüssig geworden.
Im Alten Bund war der steinerne Tempel der Ort der Gemeinschaft Gottes mit seinem Volk. Die dort dargebrachten Opfer waren der (symbolische) Weg, um die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen wiederherzustellen. Und die Priester waren die Mittler, die diesen Versöhnungsdienst ausübten.
Alles dies vereinigte Jesus in seiner Person: Er war der Mittler. Er war der bessere Hohepriester, der zwischen Gott und den Menschen vermittelte. Er ist es nicht nur einmal im Jahr für eine bestimmte Zeit, sondern für immer und ewig. Er ist das bessere Opfer. Nicht ein Tieropfer, das jährlich oder sogar noch öfter wiederholt werden muss und auch gar nicht wirklich für die Sünden bezahlen kann. Vielmehr ist er das bessere Opfer, das ein für alle Mal für unsere Sünden gesühnt hat. Er ist der Ort, an dem alles geschah. Er ist die sichtbare Herrlichkeit Gottes, die Person, in der Gott unter den Menschen zeltete.
Die Gemeinde, an die der Hebräerbrief geschrieben wurde, hatte ein Problem. Sie sahen auf ihre eigene kleine Gemeinde, und daneben blickten sie auf den prächtigen Opferdienst im Tempel. Das verunsicherte sie. Der Gottesdienst der Juden erschien ihnen viel attraktiver. Der Schreiber des Hebräerbriefes erläutert dazu: Jesus ist so viel besser als der jüdische Gottesdienst. Sein Opfer ist in Wahrheit wirksam (Hebr. 10,1-18), und sein Priesterdienst hat ewigen Bestand (Hebr. 8,1-5).
Der neue Tempel wird erweitert
40 Tage nach seiner Auferstehung fuhr Jesus in den Himmel auf. An diesem Tag kehrte er zu seinem Vater zurück. Aber was passierte in diesem Moment mit dem Tempel?
Wir stellten fest, dass der neue Tempel Jesus selbst ist. Das klingt erst einmal gut. Aber ist Jesus jetzt im Himmel nicht unerreichbar? Von Deutschland aus gesehen ist Jerusalem zwar weit weg. Aber immerhin kann man noch dorthin gelangen. In die unsichtbare Welt zu Jesus können wir in dieser Zeit überhaupt nicht gehen.
Die Lösung für dieses Problem finden wir in dem Ereignis, das 10 Tage nach der Himmelfahrt passierte. An diesem Tag kam der Heilige Geist auf die Gemeinde. Die Folgen davon sind fast noch überraschender als der Umstand, dass Jesus jetzt der neue Tempel ist. Weil wir den Heiligen Geist haben, sind auch wir Christen der Tempel Gottes: Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und dass der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verderbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr (1Kor. 3,16.17). Jeder Christ ist also jetzt der Tempel. Was heißt das?
Wir werden zu Tempeln, indem wir durch den Heiligen Geist mit Christus verbunden werden. Durch den Glauben sind wir eins mit ihm, dem wahren Tempel. Nur wegen ihm sind auch wir Tempel.
Paulus fügt hinzu, dass diese Verbindung uns Christen sehr wertvoll macht. Sie stellt uns aber auch vor eine große Herausforderung. Denn nur einige Kapitel später schreibt Paulus: Flieht die Unzucht! Jede Sünde, die ein Mensch [sonst] begeht, ist außerhalb des Leibes; wer aber Unzucht verübt, sündigt an seinem eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist, den ihr von Gott empfangen habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? (1Kor. 6,18.19).
Entsprechend argumentiert er im zweiten Korintherbrief: Zieht nicht an einem fremden Joch mit Ungläubigen! […] Wie stimmt der Tempel Gottes mit Götzenbildern überein? Denn ihr seid ein Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: Ich will in ihnen wohnen und unter ihnen wandeln und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein (2Kor. 6,14a.16). Es ist also eine große Verantwortung, diesen Tempel zu verwalten. Aber es ist ein noch größeres Vorrecht. Wir dürfen jetzt immer und überall mit Gott Gemeinschaft haben. Wir müssen nicht mehr an irgendeinen Ort laufen, um für unsere Sünden zu opfern. Weil alles bezahlt ist, können wir jederzeit überall mit Gott Gemeinschaft haben.
Aber das Christentum ist keine Einzelkämpferveranstaltung. Deswegen bezeichnet die Bibel nicht nur den einzelnen Christen als Tempel, sondern auch und vor allem die Gemeinde. Wir können mit Gott sehr wohl alleine Gemeinschaft haben. Aber die großen Verheißungen liegen auf der Gemeinschaft mit Gott, die wir zusammen mit anderen Christen suchen: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte (Mt. 18,20).
Paulus schreibt im Epheserbrief: So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge ohne Bürgerrecht und Gäste, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, auferbaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten, während Jesus Christus selbst der Eckstein ist, in dem der ganze Bau, zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, in dem auch ihr miterbaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist (Eph. 2,19-22). Auch das ist Vorrecht und Herausforderung zugleich.
Petrus schreibt: Da ihr zu ihm gekommen seid, zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt und kostbar ist, so lasst auch ihr euch nun als lebendige Steine aufbauen, als ein geistliches Haus, als ein heiliges Priestertum, um geistliche Opfer darzubringen, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus (1Petr. 2,4.5).
Seit Pfingsten ist der Tempel über die ganze Erde verstreut. Die Erde selbst ist zwar nicht der Tempel. Gott sandte seinen Sohn, vereinigte mit seinem Sohn Menschen und breitete so den Tempel über die ganze Welt aus.
Aber was ist eigentlich mit den großartigen Verheißungen für einen neuen Tempel, die wir in den Propheten finden? Wir erinnern uns: Am Ende des Alten Testaments besaßen die Juden einen kleinen, steinernen Tempel. Doch gleichzeitig hatten sie die Verheißung auf einen großen Tempel, der kostbar geschmückt, herrlich und prächtig und weiträumig sein würde. Am bekanntesten und ausführlichsten ist sicherlich die Stelle in Hesekiel 40-48. Dort heißt es unter anderem: Als er nun das innere Haus fertig ausgemessen hatte, führte er mich durch das nach Osten gerichtete Tor hinaus und maß [den Bau] von außen, den ganzen Umfang. Er maß die Ostseite mit der Messrute: 500 Ruten (= ca. 1600 Meter), nach der Messrute, ringsum. Er maß die Nordseite: 500 Ruten, mit der Messrute, ringsum. Er maß die Südseite mit der Messrute: 500 Ruten. Dann ging er herum nach der Westseite und maß 500 Ruten mit der Messrute (Hes. 42,15-19).
Der Tempel nicht aus Steinen?
Was ist mit der Erfüllung dieser Verheißung? Viele Christen sind der Meinung, dass es am Ende der Zeiten noch einmal einen steinernen Tempel in Jerusalem geben werde, der exakt so aussieht, wie Hesekiel ihn geschaut hat. Auch wenn diese Weissagungen auf den ersten Blick zu vermitteln scheinen, dass es noch einmal einen steinernen Tempel geben werde, erkennen wir bei genauerem Hinsehen, dass die Erfüllung anders ist. Denn die Visionen im Alten Testament lehren uns nicht die Größe oder die Beschaffenheit des neuen Tempels, sondern seine Herrlichkeit. Mit den meisten Auslegern aus der Kirchengeschichte bin ich darin einig, dass sich diese Prophezeiung in Christus und seiner Gemeinde erfüllt.
Aber wie kann das sein? Leugnen wir damit nicht zum Teil die Wahrheit der Bibel? Nach meiner Überzeugung sind die von Hesekiel angegebenen Maßangaben keine Baupläne. Vielmehr zeigen sie, wie herrlich und vollkommen der neue Tempel sein wird. Hesekiel sah in dieser Vision den besten Tempel, den sich die Leute damals vorstellen konnten. Die Menschen sollten wissen: Eines Tages wird es einen Tempel geben, der viel herrlicher sein wird, als sie es sich ausmalen können. Wahrscheinlich hätte es die Leute überfordert, hätten sie damals erfahren: Dieser herrliche, bessere, prächtige Tempel ist eine Person. Niemand kann sagen, warum Gott dem Propheten Hesekiel diese Vision gezeigt hat. Aber anders als historische Berichte verlangen Visionen von uns kein buchstäbliches Verständnis, sondern ein symbolisches.
Vielleicht kann uns folgendes Beispiel helfen, diese Art der Prophetie zu verstehen: Versetzen wir uns einmal in das Jahr 1875. Ein reicher Fabrikant wird Vater eines Sohnes. Zur Geburt schenkt er ihm eine Karte, auf der geschrieben steht: „An deinem zwanzigsten Geburtstag schenke ich dir die schönste Pferdekutsche, die du dir vorstellen kannst.“ Sobald der Junge versteht, was er da bekommt, hängt er sich die Karte an die Wand und freut sich während seiner gesamten Kindheit und Jugendzeit auf seinen zwanzigsten Geburtstag. Als der zwanzigste Geburtstag gekommen ist, bekommt der Sohn jedoch keine Kutsche, sondern ein Auto. Denn in der Zwischenzeit waren die Autos erfunden worden. Niemand würde behaupten, dass der Vater etwas falsch gemacht habe. Er hat seinem Sohn das Beste versprochen, was dieser sich vorstellen konnte, um ihm danach etwas noch Besseres zu schenken.
So in etwa sollten wir die visionären Prophezeiungen im Alten Testament über einen neuen steinernen Tempel verstehen.
Fragen wir weiter: Welche Argumente sprechen dafür, diese Verheißungen nicht auf einen buchstäblichen, steinernen Tempel zu beziehen? Dafür gibt es zahlreiche Gründe, von denen an dieser Stelle vier kurz angeführt sein sollen.
Erstens: Der Sohn Gottes spricht nie von einem neuen steinernen Tempel, sondern allein von dem steinernen Tempel, der abgerissen wird, und von sich selbst als dem Tempel. Käme noch ein weiterer steinerner Tempel nach ihm, hätte Jesus diesen wahrscheinlich erwähnt.
Zweitens: Immer wenn das Neue Testament Tempelprophezeiungen aus dem Alten Testament aufgreift, bezieht es diese auf Jesus oder die Gemeinde. Der Prophet Amos verheißt beispielsweise die Wiederherstellung der zerfallenen Hütte Davids (Am. 9,11).
In Apostelgeschichte 15,16 macht der Apostel Jakobus klar, dass sich diese Verheißung durch das Kommen von Jesus und die Entstehung der Gemeinde erfüllt hat. Das Wort, das er dabei im Griechischen für Hütte verwendet, ist dasselbe, das im Rest der Bibel, für die Stiftshütte verwendet wird (zum Beispiel in Joh. 1,14: „stiftshüttete“, „zeltete“). Daran sehen wir, dass auch die Apostel die Erfüllung der Tempelverheißungen durch Christus gelehrt haben.
Drittens: Das Neue Testament macht wiederholt deutlich, dass ein Tempel, der aus Steinen besteht, nur vorläufig ist. Stephanus sagt: Salomo aber erbaute Gott ein Haus. Doch der Höchste wohnt nicht in Tempeln, die von Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße. Was für ein Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, oder wo ist der Ort, an dem ich ruhen soll?“ (Apg. 7,47-49).
Der Schreiber des Hebräerbriefs teilt uns mit: Denn nicht in ein mit Händen gemachtes Heiligtum, in eine Nachbildung des wahrhaftigen, ist der Christus eingegangen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen (Hebr. 9,24). Es wird deutlich, dass das Neue Testament den steinernen Tempel als vorläufig und unzureichend ansieht.
Warum sollte es nach seiner Abschaffung dann noch einen weiteren geben?
Viertens: Der Opfer- und der Priesterdienst waren der hauptsächliche Zweck des steinernen Tempels. Jesus hat jedoch durch seinen Tod am Kreuz den gesamten Opferdienst überflüssig gemacht. So lehrt es der Hebräerbrief. Über den neuen Tempel heißt es in Hesekiel 45,18.19: So spricht Gott, der Herr: Am ersten Tag des ersten Monats sollst du einen makellosen jungen Stier nehmen und das Heiligtum entsündigen. Und der Priester soll von dem Blut des Sündopfers nehmen und es an die Türpfosten des Hauses tun und auf die vier Ecken des Absatzes am Altar und an die Torpfosten des inneren Vorhofs.
Wenn wir Hesekiel 40 bis 48 buchstäblich nähmen, müssten auch diese Verse dementsprechend ausgelegt werden. Das widerspricht jedoch der Tatsache, dass Jesus ein für alle Mal das Opfer geworden ist.
Aus diesen Gründen ist es falsch, visionären Prophezeiungen wie Hesekiel 40 bis 48 auf einen zukünftigen, steinernen Tempel zu beziehen. Aber wenn uns ein solcher Tempel nicht erwartet, was erwartet uns dann in der Zukunft?
Der letzte Tempel
Wie wir gesehen haben, verhält es sich heute so, dass der Tempel über die gesamte Welt verbreitet ist. Aber die Welt selbst ist noch nicht der Tempel. Es gibt immer noch viel Gottlosigkeit. Christen werden verfolgt. Auch wenn es Christen in (beinahe) jeder Nation gibt, sind die meisten Menschen auf dieser Welt keine lebendigen Steine in Gottes Tempel.
Deswegen warten wir auch heute noch auf die endgültige Erfüllung der Tempelprophezeiung. Wir hatten gesehen, dass Gott und die Menschen am Anfang im Garten Eden perfekte Gemeinschaft hatten. Diese Gemeinschaft zerstörten die Menschen. Der Rest der Bibel handelt davon, wie Gott diese Gemeinschaft wieder herstellt. Aber noch ist nicht alles so, wie es am Anfang war. Wir leiden noch unter der Sünde, wir sind krank, wir sterben. Auf der anderen Seite sind wir Christen durch die Einheit mit Christus der Tempel des lebendigen Gottes.
Es wird eine Zeit kommen, da wird tatsächlich alles gut sein. Da wird alles sogar besser sein als vor dem Sündenfall. An dem Ort, den wir als Himmel bezeichnen, werden Gott und seine Menschen in perfekter Gemeinschaft ewig miteinander leben.
In den letzten beiden Kapiteln der Bibel lesen wir über diese Zeit. Johannes schreibt: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Himmel sagen: Siehe, das Zelt [!] Gottes bei den Menschen. Und er wird bei ihnen wohnen; und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, weder Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen (Offb. 21,1-4).
Die Menschen leben in perfekter Gemeinschaft mit Gott ohne Leid und Tränen. Und wieder taucht der Begriff Zelt auf, der auf die Stiftshütte und damit auf den Tempel hinweist.
Anschließend darf Johannes einen Blick in das Neue Jerusalem werfen: Und er brachte mich im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die große Stadt, das heilige Jerusalem, die von Gott aus dem Himmel herabkam, welche die Herrlichkeit Gottes hat (Offb. 21,10.11a). Die Erwähnung der Herrlichkeit Gottes ist ein weiterer Hinweis darauf, dass wir es hier wiederum mit einem Tempel zu tun haben. Aber wie genau sieht der Tempel im neuen Jerusalem aus? Und die Stadt bildet ein Viereck, und ihre Länge ist so groß wie auch ihre Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohr, auf 12 000 Stadien; die Länge und die Breite und die Höhe derselben sind gleich (Offb. 21,15.16).
Das Neue Jerusalem ist also eine Stadt, die Johannes als einen riesigen Würfel schaut. Das einzige würfelförmige Bauwerk, das in all den Kapiteln in der Bibel zuvor auftaucht, ist das Allerheiligste des Tempels (1Kön. 6,19.20). Daran wird deutlich: Diese Stadt, das Neue Jerusalem, der Himmel ist das wahre Allerheiligste. Es ist der Ort, in dem Gott wohnt und die Menschen mit ihm dauerhaft perfekte Gemeinschaft haben können, ohne dass irgendeine Sünde vorhanden ist, die sie von Gott trennt. Deswegen haben dort die Gottlosen auch nichts zu suchen (Offb. 21,8.27).
Weiter heißt es über die himmlische Stadt: Und einen Tempel sah ich nicht in ihr; denn der Herr, Gott der Allmächtige, ist ihr Tempel, und das Lamm (Offb. 21,22). Dann wird das Ziel erreicht sein. Gott und Menschen leben in perfekter Gemeinschaft. Es gibt keinen Tempel mehr in dieser Stadt, weil die neue Stadt und der neue Tempel dasselbe sind. Und es wird keinen Fluch mehr geben; und der Thron Gottes und des Lammes wird in ihr sein, und seine Knechte werden ihm dienen; und sie werden sein Angesicht sehen, und sein Name wird auf ihren Stirnen sein. Und es wird dort keine Nacht mehr geben, und sie bedürfen nicht eines Leuchters (im irdischen Tempel musste ein Leuchter stehen), noch des Lichtes der Sonne, denn Gott, der Herr, erleuchtet sie; und sie werden herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offb. 22,3-5).
LG
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