Kann man die Dreieinigkeit grammatisch "beweisen"? Einige Trinitarier glauben das. Sie verweisen darauf, dass bestimmte Textstellen der Bibel keinen anderen Schluss zulassen, als dass Jesus der allmächtige Gott selbst ist. Eine dieser häufig angeführten Textstellen ist Johannes 1, 1. Für Trinitarier ist dieser Vers ein ausgesprochen wichtiger Text. Immerhin heißt es dort in den bekanntesten Bibelübersetzungen: „...und das Wort war Gott“. Kombiniert man das mit der auf Jesus bezogenen Aussage „...und das Wort wurde Fleisch“ (Johannes 1, 14), dann ergibt sich daraus ein starkes Argument für die Dreieinigkeitslehre. Um so empörter waren Christen aus aller Welt, als die Zeugen Jehovas 1950 eine eigene Übersetzung des Neuen Testaments herausbrachten, in der Johannes 1, 1 mit „...and the word was a god“ (und das Wort war ein Gott) wiedergegeben wurde. Das würde ja schließlich bedeuten, dass nicht GOTT selbst Fleisch wurde, sondern nur „ein Gott“, der vorher bei GOTT existierte. Noch erboster war manch einer darüber, dass man auch noch beanspruchte, damit eine genauere Übersetzung von Johannes 1, 1 vorgelegt zu haben. So heißt es im Anhang der von den Zeugen Jehovas herausgegebenen „Neuen-Welt-Übersetzung mit Studienverweisen“:
Zitat von NWÜDer Gott, bei dem das Wort oder der Logos ursprünglich war, wird hier mit dem griechischen Ausdruck ὁ θεός bezeichnet, also mit theós, dem der bestimmte Artikel ho vorangestellt ist. Diese Konstruktion des Substantivs mit dem bestimmten Artikel weist auf eine Persönlichkeit, eine Person, hin, wohingegen ein singularisches artikelloses Prädikatsnomen, das dem Verb vorangeht, auf eine Eigenschaft hinweist, die jemand hat. Folglich bedeutet die Aussage des Johannes, daß das Wort oder der Logos „ein Gott“ oder „göttlich“ war, nicht, daß er der Gott war, bei dem er war. Vielmehr wird dadurch eine gewisse Eigenschaft des Wortes oder des Logos zum Ausdruck gebracht; er wird aber nicht als derselbe wie Gott ausgewiesen.
Dass der griechische Text zwischen „ho theos“ und „theos“ (ohne Artikel) unterscheidet, kann natürlich schlecht bestritten werden. Auch die Aussage, dass „das Wort“ bei „dem Gott“ war, spricht dafür, „theos“ anders zu verstehen, als „ ho theos“. Aber kann man „theos“ mit „ein Gott“ übersetzen, nur weil kein bestimmter Artikel davor steht? Trinitarier verneinen das häufig. Einige von ihnen haben deshalb interessante Erklärungen zum griechischen Wortlaut von Johannes 1, 1 veröffentlicht, deren Wahrheitsgehalt man auch als Laie sehr leicht nachprüfen kann. Einige dieser Erklärungen habe ich mir etwas näher angesehen. In dem folgenden Artikel geht es nicht darum, die Dreieinigkeitslehre zu diskutieren, sondern einzig und allein um die Frage, wie redlich argumentiert wird, wenn man auf die griechische Grammatik verweist. So schreibt ein gewisser Gerrid Setzer unter der dramatischen Überschrift „Bibelfälschung Neue Welt Übersetzung“ folgendes:
Zitat von Gerrid SetzerDie griechische Sprache kennt keinen unbestimmten Artikel. Es handelt sich also um eine Hinzufügung. Diese Ergänzung lässt sich aus sprachlichen Gründen im Deutschen natürlich nicht immer vermeiden. So wird in Vers 6 von "einem Menschen" gesprochen, obwohl vor "Mensch" kein Artikel steht. Es ist eben nicht anders möglich. Das ist es aber in Vers 1 wohl - und die Hinzufügung ist sogar sinnentstellend! Wenn der Heilige Geist es hätte ausdrücken wollen, dass es ein Gott von mehreren Göttern ist, dann hätte er auch die entsprechenden Worte gewählt.
Quelle: http://www.bibelstudium.de/articles/1866/…bersetzung.html
Hier sticht ein Widerspruch zwischen dem letzten Satz und den zuvor genannten Informationen in des Lesers Auge. Welche Worte hätte der Heilige Geist denn wählen können, wenn er hätte sagen wollen, dass das Wort „ein Gott“ war? Wenn es den unbestimmten Artikel im Griechischen nicht gab, und man jemanden als „einen Menschen“ bezeichnete, indem man diesen im Griechischen als „Mensch“ (ohne Artikel) bezeichnete (wie in Vers 6), dann wüsste ich nicht, was außer einem artikellosen „theos“ sonst hätte in Vers 1 stehen können, um das Wort als „einen Gott“ zu bezeichnen. Im Netz findet man diverse „Griechische Grammatiken“, von denen eine das von Gerrid Setzer genannte Beispiel „Mensch“ wie folgt erklärt:
Zitat von Raphael KühnerDer deutsche unbestimmte Artikel hat eine doppelte Bedeutung. Er bezeichnet entweder bloß die Gattung, als: ein Mensch - in diesem Falle setzen die Griechen das bloße Substantiv, als: ἄνθρωπος - ; oder er bezeichnet zwar auch, wie der bestimmte Artikel, ein Individuum der Gattung, aber nicht ein bestimmtes und von den übrigen unterschiedenes; auch in diesem Falle setzen die Griechen das bloße Substantiv, als: ἄνθρωπος [...].
Quelle: Raphael Kühner, "Schulgrammatik der Griechischen Sprache" 1923, Seite 268
Gerrid Setzer hat Recht! Angenommen der Heilige Geist hätte ausdrücken wollen, dass das Wort „ein Gott“ war, dann hätte er sicherlich die entsprechenden Worte gewählt. Aber genau das ist laut der oben zitierten Grammatik geschehen! Eine andere Art, diesen Sachverhalt im Griechischen auszudrücken, gibt es nämlich nicht. Damit möchte ich nicht sagen, dass die Übersetzung "das Wort war ein Gott" hier zwingend ist, sondern darauf verweisen, dass der griechische Wortlaut perfekt zu dieser Wiedergabe passt.
Beeindruckend lesen sich auf den ersten Blick auch die Ausführungen der Onesimus Missionsgemeinschaft (An einen Zeugen Jehova), die in einem offenen, an die Zeugen Jehovas gerichteten Brief, gleich eine Vielzahl angeblicher Grammatik-Regeln der griechischen Sprache aus den Ärmel schüttelt. Als Zeuge Jehovas habe ich mich selbstverständlich angesprochen gefühlt. Zu lesen bekam ich u.a. folgendes:
Zitat von Onesimus MissionsgemeinschaftSie haben Recht, wenn Sie sagen, dass in Joh. 1,1 das griechische Wort für Gott ohne einen bestimmten Artikel steht. Jedoch stimmen gute Kenner der griechischen Sprache darin überein, dass dies nicht bedeutet, dass das Wort „Gott“ dann mit dem unbestimmten Artikel „ein“ versehen werden sollte. Der bestimmte Artikel ist hier wegen einer technischen Regel der griechischen Grammatik in Wegfall gekommen. Ein bestimmtes Prädikatsnomen, das einem Verb vorausgeht, hat nicht den bestimmten Artikel.
Ich weiß nicht, wo die Onesimus Missionsgemeinschaft auf diese „technische Regel der griechischen Grammatik“ gestoßen sein möchte, aber diese Regel kann so nicht stimmen, denn an diversen Stellen im NT haben bestimmte Prädikatsnomen sehr wohl den bestimmten Artikel, obwohl sie dem Verb vorausgehen. So fragt man Johannes den Täufer in Johannes 1, 21: „Bist du der Prophet“? Das Prädikatsnomen „Prophet“ (προφήτης) steht im Griechischen vor dem Verb „bist“ (εἶ), hat aber trotzdem den bestimmten Artikel „der“ (Ὁ). Ein weiteres Beispiel ist Johannes 21, 7, wo ein Jünger sagt: „Es ist der Herr“! Auch hier steht das Prädikatsnomen „Herr“ (κύριός) vor dem Verb „ist“ (ἐστιν), trotzdem steht der bestimmten Artikel „der“ (Ὁ) vor „Herr“! Als drittes Beispiel sei noch Johannes 6, 51 angeführt, wo es wörtlich heißt: ὁ ἄρτος δὲ ὃν ἐγὼ δώσω, ἡ σάρξ μού ἐστιν (Wort-für-Wort: Das Brot nun das ich werde geben das Fleisch von mir ist). Das Prädikatsnomen „Fleisch“(σάρξ) hat den bestimmten Artikel „das“ (ἡ), obwohl es vor dem Verb „ist“ (ἐστιν) steht. Weitere Beispiele findet man u.a. hier: Lukas 4, 41; Johannes 15, 1; Römer 4, 13; 1. Korinther 9, 2; 1. Korinther 11, 3; 1.Korinther 11, 25; 2. Korinther 1, 12; 2. Korinther 3, 17; 2. Petrus 1, 17; Offenbarung 19, 8; Offenbarung 20, 14. Von einer „Regel der griechischen Grammatik“ kann also überhaupt keine Rede sein. Hätte Johannes Jesus nicht nur als „das Wort“, sondern auch als „den Gott“ identifizieren wollen, dann hätte er das ganz einfach tun können, ohne gegen eine grammatische Regel verstoßen zu müssen. Ich habe die Verfasser deshalb in einer E-Mail um eine Quelle zu dieser "Grammatikregel" gebeten, sowie nach Texten aus dem NT gefragt, welche die Existenz einer solchen "Regel" demonstrieren könnten. Ich habe darauf nie eine Antwort erhalten.
Die Schreiber der Onesimus Missionsgemeinschaft haben aber noch eine andere Erklärung zur Hand:
Zitat von Onesimus MissionsgemeinschaftWenn ein griechischer Schreiber die Besonderheit einer Person oder Sache, die im Prädikatsnomen - Fall stand, hervorheben wollte, dann setzte er es lieber vor das Verb als hinter es. Das war es, was Johannes tat, um die Tatsache zu betonen, dass das Wort (Christus) den Rang und die Eigenschaften der Gottheit besitzt. Dieser fundamentale Grundsatz der griechischen Grammatik bestätigt somit die Gottheit Christi und gibt in keiner Weise eine Begründung für die Übersetzung „Das Wort war ein Gott“.
Hier ist nun von einem "fundamentalen Grundsatz der griechischen Grammatik" die Rede. Nachdem bereits behauptet wurde, dass auch bestimmte Prädikatsnomen den Artikel nicht haben, wenn sie dem Verb vorangestellt sind, soll das vorangestellte Prädikatsnomen nun beweisen, dass Jesus „den Rang und die Eigenschaften der Gottheit besitzt“. Tatsächlich finden sich im NT diverse Beispiele für artikellose Prädikatsnomen, welche vorgezogen sind. Da wäre beispielsweise Johannes 6, 70, wo Judas als „Teufel“ bezeichnet wird. Soll hier gesagt werden, dass Judas "den Rang und die Eigenschaften" des Teufels - im absoluten Sinne - besitzt? Genau wie in Johannes 1, 1 steht das Prädikatsnomen Johannes 6, 70 dem Verb voraus. Allerdings konnte ich spontan keinen Übersetzer in meinem Bücherregal finden, der hier nicht den unbestimmten Artikel verwendet - und nicht mit „ein Teufel“ übersetzt. Zum Vergleich könnte man auch Johannes 4, 19 anführen. Das Prädikatsnomen προφήτης („Prophet“) steht ohne Artikel dem Verb εἶ („bist“) vorangestellt. Alle gängigen Übersetzungen geben den griechischen Satz mit „...ich sehe, dass du ein Prophet bist“ wieder. So verhält es sich auch in Johannes 8, 44. Im ersten Teil des Verses steht das Prädikatsnomen ἀνθρωποκτόνος („Menschenmörder“) ohne den bestimmten Artikel vor dem Verb ἦν („war“). Im zweiten Teil des Verses steht das Prädikatsnomen ψεύστης („Lügner“) unartikuliert vor dem Verb ἐστὶν („ist“). Beim Übersetzen von ἀνθρωποκτόνος und ψεύστης haben alle Übersetzer den unbestimmten Artikel gebraucht und mit „ein Menschenmörder“ und „ein Lügner“ übersetzt. Es sei noch ein viertes Beispiel erwähnt. In Johannes 10, 1 steht das Prädikatsnomen κλέπτης („Dieb“) vor dem Verb ἐστὶν („ist“), ohne artikukiert zu sein. Dementsprechend ist auch hier in sämtlichen Übersetzungen von κλέπτης als „ein Dieb“ die Rede. Siehe auch Johannes 9, 17 („ein Prophet“); 10, 13 ("ein Lohnarbeiter"); 10, 33 ("ein Mensch") und 12, 16 ("ein Dieb"). Der Satzbau all dieser Vergleichstexte spricht also absolut FÜR die Wiedergabe von Johannes 1, 1 in der Neuen-Welt-Übersetzung. Nun wüsste ich gerne, welche Vergleichstexte die oben zitierte Behauptung der Onesimus Missionsgesellschaft (hinsichtlich der Übersetzung von Johannes 1, 1) untermauern. Auch diese Frage habe ich per E-Mail gestellt, aber bis heute keine Antwort erhalten. Trotzdem gibt man die Intention des Evangelisten wie folgt wieder:
Zitat von Onesimus MissionsgemeinschaftDie Absicht des Johannes könnte im Deutschen mit „Das Wort war völlig Gott“ oder „Das Wort war durchaus Gott“ wiedergegeben werden.
Warum übersetzt dann niemand in Johannes 9, 17 mit "...er ist völlig Prophet"? Warum gibt keine Übersetzung Johannes 6, 70 mit "einer von euch ist völlig Teufel" (oder: "...durchaus der Teufel") wieder? Sprechen wir hier tatsächlich von grammatischen Regeln, oder geht es bereits um Interpretation? Und wie soll ich als (in dem offenen Brief) angesprochene Person die folgende Aussage auffassen?
Zitat von Onesimus MissionsgemeinschaftAuch ist „theos“ ein bestimmtes Nomen und kann daher nicht den unbestimmten Artikel „ein“ haben.
Ging es vorher noch darum, zu begründen, warum man „theos“ auch ohne den bestimmten Artikel als bestimmt auffassen kann, heißt es nun einfach: „Theos ist ein bestimmtes Nomen und kann daher nicht den bestimmten Artikel haben“. Ich lasse das unkommentiert und verweise noch einmal auf die bereits zitierte Griechische Grammatik. Ein letztes Argument der Schreiber möchte ich noch anführen:
Zitat von Onesimus MissionsgemeinschaftSie sollten auch wissen, dass es Verse gibt, die sich klar auf Christus beziehen, in denen das Wort „Gott“ den bestimmten Artikel („der“) hat und die damit zeigen, dass Jesus „der Gott“ ist, das heißt Jehova (Matth.1,23 zum Beispiel, wo ausgesagt wird, dass Jesus Immanuel ist, was im Griechischen lautet: „Mit uns ist der Gott.“ Jesus ist demnach der Jehova Gott).
Und Eliatha bedeutet „Gott ist gekommen“! Jehu bedeutet „JHWH ist er“! Elihu heißt soviel wie „Mein Gott ist er“. Nun stellt euch mal vor, dass ein Israelit einen dieser drei kommen sah und zu seinen Freunden sagte: "Seht mal wer da kommt: Jehu (= JHWH ist er)"! Hat er dann gesagt, dass Jehu höchstpersönlich JHWH ist? Oder: "Das da ist mein Freund; Elihu (= mein Gott ist er)"! Hat er seinen Freund Elihu damit als seinen Gott bezeichnet? Oder ein Israelit, der Eliatha direkt ansprach: "Eliatha (= Gott ist gekommen), komm in mein Zelt"! Würde das dann bedeuten, dass Gott persönlich gekommen ist und gleich ins Zelt marschiert? Auch hier sollte klar sein, dass ein Name wie Immanuel nicht mit einer Gottes-Identifizierung gleichgesetzt werden kann.
Davon, dass es durchaus möglich ist, von „Göttern“ zu sprechen, die neben dem „allein wahren Gott“ existieren, zeugten nicht nur die Schreiber des Alten Testaments, sondern auch Jesus selbst:
Johannes 10, 34-36 (Elberfelder Bibel 2006): Jesus antwortete ihnen: Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben: "Ich habe gesagt: Ihr seid Götter"? Wenn er jene Götter nannte, an die das Wort Gottes erging - und die Schrift kann nicht aufgelöst werden -, sagt ihr von dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: Du lästerst, weil ich sagte: Ich bin Gottes Sohn?"
Zum Vergleich:
Psalm 8, 6 (Schlachter 2000): Du hast ihn ein wenig niedriger gemacht als die Engel; mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt."
Fußnote zu "Engel":
hebr. elohim. Dieses Wort steht in der Regel für den ewigen Gott in seiner Allmacht als Schöpfer (man könnte übersetzen »der überaus Mächtige«) und wird dann »Gott« übersetzt; hier wie an gewissen anderen Stellen bezeichnet es jedoch Engelmächte (»Götter«, d.h. »Mächtige«); vgl. Hebr 2,7.
Psalm 82, 1 (Neue Evangelistische Übersetzung 2012): Ein Psalm. Von Asaf. Gott steht auf in der Götterversammlung, im Kreis der Götter hält er Gericht.
Fußnote zu "Götterversammlung":
Im Alten Orient wurden manchmal auch menschliche Herrscher als Götter bezeichnet, siehe Fußnote zu 1. Mose 6,2. Es können aber auch die Himmelsmächte gemeint sein wie in Kolosser 1,16; Epheser 6,12.
Jeder dieser Verse beweist, dass die Wiedergabe von Johannes 1, 1 in der Neuen-Welt-Übersetzung dem jüdischen u. christlichen Monotheismus in keinster Weise widerspricht! Weder die Juden, noch die ersten Christen verwendeten die Ausdrücke "elohim" und "theos" so exklusiv wie wir heute (was nichts daran änderte, dass es für sie nur einen "allmächtigen Gott", nur einen "JHWH" gab)! Man muss diese Stellen aber noch nicht einmal zum Vergleich heranziehen, denn „das Wort war ein Gott“ muss nicht im Sinne von „einer von vielen Göttern“ verstanden werden (obwohl auch das korrekt wäre). Hier kann auch einfach nur die Unterscheidung zwischen Identität („der Gott“) und Qualität („ein Gott“ / „göttlich“) eine Rolle spielen. Wenn Gott in der Schlachter 2000 als „ein Gott der Lebenden“ bezeichnet wird (siehe Lukas 20, 38), dann wollten die Übersetzer hier sicherlich genauso wenig wie Lukas sagen, dass es „ganz viele Götter der Lebenden“ gibt (siehe auch Luther 1984, Menge 1939, Herder Bibel 2005, Neue evangelistische Übersetzung 2014, Pattloch Bibel 1979, Zürcher 1931, Münchener NT 1998 u. a.). Es geht hier nicht um Identität, sondern um Qualität! Das kann man durch die Verwendung des unbestimmten Artikels ausdrücken! So wird der Ausdruck „ein Gott“ (in Johannes 1, 1) übrigens auch im Anhang der Neuen-Welt-Übersetzung mit Studienverweisen erklärt. Diese Wiedergabe ist - als eine von mehreren Übersetzungsmöglichkeiten - sowohl aus philologischer, als auch aus theologischer Sicht korrekt! Strenggenommen ist es die wörtlichste aller Übersetzungsmöglichkeiten. Was würde passieren, wenn man sowohl die Übersetzung der Elberfelder Bibel, als auch die Wiedergabe der Neuen-Welt-Übersetzung ins Griechische zurückübersetzen würde? Welche der beiden (zurückübersetzen) Fassungen hätte "ho theos" in Vers 1b, "theos" in Vers 1c und dann wieder "ho theos" in Vers 2, wie es im griechischen Johannes-Evangelium der Fall ist?
Es geht mir in diesem Artikel nicht darum, eine bestimmte Übersetzung von Johannes 1, 1 als die einzig wahre hinzustellen. Tatsächlich gibt es unzählige Versuche, das auszudrücken, was Johannes im Griechischen sagen wollte:
Hermann Menge (1923): ...und göttlichen Wesens war das Wort.
Walter Bauer (1925): ...und Gott (von Art) war der Logos.
Siegfried Schulz (1975): ...und ein Gott (oder: Gott von Art) war das Wort.
Konkordantes Neues Testament (1995): ...und wie Gott war das Wort.
Zürcher Bibel (2007): ...und von Gottes Wesen war der Logos.
Es geht mir hier auch nicht um die Klärung der Frage, ob Jesus GOTT (im absoluten Sinne) ist. Vielmehr geht es mir darum, WIE man seinen Standpunkt vertritt. Wenn man mit den Sprachen der Bibel (und ihrer Grammatik) argumentiert, dann sollte das Geschriebene auch Hand und Fuß haben. Das ist in den oben genannten Fällen jedoch nicht der Fall.
Abschließend möchte ich noch von Jürgen Becker erzählen. Jürgen Becker ist ein inzwischen pensionierter Professor für Neues Testament und Judastik, dessen durchaus beeindruckende Vita man hier nachlesen kann:
Jürgen Becker hat selbst eine kommentierte Übersetzung des Johannes-Evangeliums verfasst („Das Evangelium nach Johannes - Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament“ 1979). Interessanter Weise hat er in Johannes 1, 1 mit „...und ein Gott war der Logos“ übersetzt. Als Zeuge Jehovas habe ich oft erlebt, wie emotional manche Christen reagieren, wenn sie einen Text wie Johannes 1, 1 - aus ihrer Sicht - derart „verunstaltet“ sehen. Da ist dann schnell von „Falschübersetzung“, oder „Bibelfälschung“ die Rede. Deshalb war ich neugierig, ob auch Jürgen Becker für diese Wiedergabe auf irgendeine Weise attackiert oder kritisiert wurde. In einer E-Mail versicherte er mir jedoch, dass dies nie der Fall gewesen sei. Anscheinend geht es also nicht nur darum, WIE etwas übersetzt wird, sondern auch darum, WER es übersetzt. Ich wage zu behaupten, dass die Missionare der Onesimus Missionsgemeinschaft kaum einen offenen Brief an einen „Prof. Dr. theol. Dr. theol. h.c. Jürgen Becker“ in das World Wide Web gestellt hätten, um ihn über „technische Regeln der griechischen Grammatik“ aufzuklären, die es gar nicht gibt.
Gruß, GMacS
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